Fehlerserie führte zu Brückenkatastrophe in Genua
„Oh mein Gott, oh mein Gott“: Die panischen Rufe eines Mannes sind auf einem vom italienischen TV-Sender RAI ausgestrahlten Video zu hören. Der Mann befand sich in der Nähe jenes Teils der vierspurigen Autobahnbrücke Morandi in Genua, die am Dienstag, kurz vor Mittag, einstürzte. Dabei kamen mindestens 35 Menschen ums Leben, darunter auch ein Kind. Dutzende Personen wurden verletzt.
Auf Bildern, die das „Inferno“ (die Hölle) einfangen, sind zwei Teile der auseinandergebrochenen Brücke, Betontrümmer und eine riesige Staubwolke zu sehen. Zwischen beiden Seiten klafft eine riesige Lücke. Auf einer Seite der Brücke steht einsam ein Lkw, den sein Fahrer gerade noch zum Stehen gebracht hatte.
Absturz im Lkw überlebt
Ein anderer Lkw-Fahrer stürzte mit seinem Fahrzeug fünfzig Meter in die Tiefe und überlebte bis auf ein paar Schürfwunden fast unverletzt. Viele Autos wurden hingegen in den herabgestürzten Betonblöcken eingeklemmt. Augenzeuge berichten von „apokalyptischen Szenen“.
„Hinter mir fuhren mehrere Autos und Lkw, die in die Tiefe stürzten“, berichtete ein Autofahrer, der sich in letzter Sekunde retten konnte. Zum Zeitpunkt des Unglücks ging in der ligurischen Hafenstadt ein schweres Unwetter nieder. „Es war kurz nach 11:30 Uhr, als wir sahen, wie ein Blitz in die Brücke einschlug“, erzählte Pietro M. der Nachrichtenagentur Ansa. „Kurz darauf begann die Brücke einzustürzen“, berichtet der geschockte Augenzeuge. Unter der ein Kilometer langen Brücke, auf der ein 100 Meter langes Stück aus 50 Metern Höhe einbrach, befindet sich ein dicht besiedeltes Gebiet mit Wohnhäusern und Fabrikshallen. Auch eine Zugstrecke sowie der Polcevera-Fluss führen durch das betroffene Gelände. Der italienische Verkehrsminister Danilo Toninelli , der am heutigen Feiertag in Genua erwartet wird, spricht von einer „entsetzlichen Tragödie“. Auch Premier Giuseppe Conte wird zu Ferragosto (15. August) nachGenua fahren.
Wettlauf gegen die Zeit
„Wir führen einen Kampf gegen die Zeit, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten“, sagen die Einsatzkräfte. Auch Suchhunde sind vor Ort und suchen nach verschütteten Personen. Feuerwehr und Rettungskräfte arbeiten auf Hochtouren. Sie konnten zahlreiche Überlebende aus den Trümmern bergen. Die zum Teil schwer Verletzten wurden mit Hubschraubern in die umliegenden Krankenhäuser gebracht. Die mehrstöckigen Wohnhäuser in der Umgebung mussten evakuiert werden.
Der Brücken-Einsturz legt nicht nur den Verkehr in Genua komplett lahm, sondern beeinträchtigt die gesamte Region Ligurien. Die Ponte Morandi ist eine zentraler Verkehrsknotenpunkt der Stadt, der regelmäßig mit kilometerlangen Staus für Schlagzeilen sorgte. Viele Bewohner der Hafenstadt nutzten die Brücke täglich, um zur Arbeit zu gelangen . Auch der Verkehr zum Hafen sowie an die ligurische Küste führte über die Brücke. Das Viadukt liegt an der Mautautobahn A10, einer Hauptverkehrsader, die an die Riviera und nach Südfrankreich führt.
Bereits in der Vergangenheit war die Ponte Morandi, die 1967 Jahren eingeweiht wurde, wegen Sicherheitsproblemen und möglicher Einsturzgefahr im Fokus. Experten bemängelten nicht nur die schlechte Konstruktion, sondern auch die mangelnde Wartung.
Brücke war kaputt
Der Südtiroler Bauingenieur Antonio Brencich plädierte schon 2016 dafür, die Brücke zu demolieren. Da langfristig die Wartungskosten höher seien, als eine Neukonstruktion. Verkehrsminister Danilo Toninelli kündigte an, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, und bezweifelt, dass die Wartungsarbeiten vorschriftsgemäß durchgeführt wurden.
Laut der privaten Betreibergesellschaft Autostrade per Italia, die mehrheitlich der Industriellenfamilie Benetton gehört, seien zuletzt Sanierungsarbeiten am Fundament der Brücke vorgenommen worden. Auf der Brücke selber habe ein Baukran gestanden.
Der Zustand der Brücke sowie der Fortgang der Renovierung seien immer wieder kontrolliert worden. Erst wenn ein gesicherter Zugang zur Unfallstelle möglich sei, könne Näheres über die Ursachen des Einsturzes gesagt werden, teilte das Unternehmen mit.
„Einem Brückeneinsturz gehe eine lange Fehlerserie voran – angefangen beim Bau, bei der Wartung bis zur Genehmigung von Schwerlastfahrzeugen – die ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen passieren durften“, erklärt der Bauingenieur Brencich. Nach der Tragödie in Genua ist die Diskussion um einsturzgefährdete Brücken, Tunnel und Gebäude in Italien neu aufgeflammt.
Sanierungsbedarf
Laut Experten sind Hunderte Brücken von Nord- bis Süditalien dringend sanierungsbedürftig oder müssten geschlossen werden. Angefangen von baufälligen Brücken in der Lombardei bis zu gefährlichen Übergängen in Kalabrien oder auf Sizilien. Akute Gefahr etwa sei beim Viadukt auf der Staatsstraße 107 in der Gemeinde Celico bei Cosenza in Kalabrien gegeben. Gefährlich ist auch die Brücke Himera auf der A19 zwischen Palermo und Catania.
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