Extremismus: Die "Irakisierung" der Türkei

Spezialeinheiten bei verdächtigem Paket – in Istanbul herrscht Daueralarm
Bedrohung durch linke Extremisten, radikale Kurden und IS-Fanatiker wächst, Zahl der Anschläge nimmt zu.

Extremisten zünden eine Autobombe in Istanbul und greifen das US-Konsulat an. Fast gleichzeitig jagen Kurdenrebellen in Südostanatolien ein Polizeifahrzeug in die Luft und töten vier Polizisten. Ein weiterer stirbt beim Beschuss eines Hubschraubers durch Rebellen (mehr dazu hier). – Eine neue Gewaltwelle erschüttert die Türkei und verunsichert die Menschen. Angesichts linker, kurdischer und islamischer Gewalttäter macht das Wort von der "Irakisierung" der Türkei die Runde.

"Panik" in Istanbul

Extremismus: Die "Irakisierung" der Türkei
epa04878862 Turkish police officers search the area after a explosion in Istanbul, Turkey, 10 August 2015. According to police reports, 7 people were wounded when a suicide bomber blew himself up in an attack on a police station. EPA/STR
"Panik in der Metropole", titelten türkische Medien nach den Anschlägen in Istanbul vom Montag. Extremisten hatten in der Nacht zuerst mit einer Autobombe eine Polizeiwache in Sultanbeyli im asiatischen Teil von Istanbul angegriffen und wenige Stunden darauf am Tatort das Feuer auf die Beamten der Spurensicherung eröffnet. Vier Menschen starben.

Während sich Angreifer und Polizisten in Sultanbeyli ein heftiges Feuergefecht lieferten, schossen zwei Linksextremistinnen der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit Gewehren auf das Gebäude des amerikanischen Generalkonsulats im Stadtteil Istinye im europäischen Teil der 15-Millionen-Einwohner-Stadt. Eine Täterin wurde von der Polizei mit Schüssen verletzt und festgenommen.

Später entdeckte die Polizei nahe dem Konsulat ein verdächtiges Paket und ließ es sprengen. Ob es sich um eine Bombe handelte, war zunächst unklar.

Sprengstoffautos

Schon seit Wochen wird vor angeblichen Sprengstoffautos gewarnt, die in Istanbul unterwegs sein sollen. An Mautstellen der Stadtautobahnen, an denen die Autos langsam durch die Zahlschleusen fahren, hält die Polizei regelmäßig nach verdächtigen Fahrzeugen Ausschau. Schließlich hatte auch der "Islamische Staat" (IS) mit Anschlägen in der Türkei gedroht; am Wochenende erneuerte die Terrormiliz ihre Warnung. Anlass ist die Entscheidung der Türkei, den USA die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte für den Kampf gegen den Islamischen Staat zu erlauben.

"Immer nur Angst"

Viele Istanbuler vermeiden es, mit der Metro zu fahren. Inzwischen sei es so weit, dass manche schon beim kleinsten Zwischenfall in Panik gerieten, schrieb ein Nutzer auf Twitter. "Immer nur Angst, immer nur Panik", hieß es in einem anderen Beitrag.

Viele sind überzeugt, dass die Anschläge von Sultanbeyli und Istinye nicht das Ende einer blutigen Entwicklung waren, sondern der Beginn. Im Kurdengebiet tötet die PKK fast jeden Tag mehr Polizisten und Soldaten. Bisher haben die Kurdenrebellen in den Metropolen wie Ankara und Istanbul noch keine Anschläge verübt, doch das könnte nur eine Frage der Zeit sein. Premier Davutoglu sagte, die DHKP-C, die PKK und der IS gingen gemeinsam gegen die Türkei vor.

Aus allen Richtungen

Das ist natürlich stark überzeichnet. Doch Davutoglu beschrieb mit seiner Aussage ein Gefühl, das viele Türken haben: Das Land ist Zielscheibe für Gewalt aus allen möglichen Richtungen. "Die Türkei irakisiert sich rasend schnell", kommentierte die Journalistin Asli Aydintasbas. Sie und andere befürchten, dass in der Türkei ähnlich wie beim südöstlichen Nachbarn bewaffnete Gruppen mit Terror Angst und Schrecken verbreiten, während die Politik zuschaut.

Die legale Kurdenpartei HDP wirft Präsident Erdogan vor, er wolle die Spannungen im Land absichtlich anheizen, um bei einer Neuwahl im November seiner Partei AKP einen Vorteil zu verschaffen. Umgekehrt kritisiert die Regierung, die HDP distanziere sich nicht eindeutig von der Gewalt der PKK.

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