Die unmögliche Heimat
Nein, über Politik wollen sie nicht reden. "Sprechen wir doch lieber über Musik. Die Musik hat uns hergebracht."
Nir Ivenizki und Doron Eisenberg sitzen vor ihrem Café in Berlin-Neukölln, die Sonne brennt auf den Asphalt. "Nur das Meer fehlt", sagt der 33-jährige Nir, während der drei Jahre ältere Doron mit dem Kopf im Takt zur Elektro-Musik wippt , die drinnen im Lokal läuft. Es ist Musik ihres eigenen Labels, "Elektromucke", würde man hier dazu sagen. "Aber Berlinerisch kann ich noch nicht", sagt Doron.
Ihr "Gordon" ist eines der vielen hippen Cafés im Trendbezirk Neukölln, in jener Gegend, in der nicht nur die meisten Hipster, sondern auch die meisten Muslime der Stadt leben. Dennoch ist es nicht wie die vielen anderen. Am Logo, das am Fenster klebt, steht "Berlin – Tel Aviv". Eine Verbindung, die vor einigen Jahrzehnten noch ziemlich undenkbar war.
Nir und Doron sind aus Israel nach Deutschland emigriert – ungeachtet der Geschichte, die sie hier erwartet. Sie sind Juden der dritten Generation, die ihre Heimat verlassen, um im einst verhassten Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Und sie sind nicht allein.
Man spricht Hebräisch
Auch die 37-Jährige hat zwei Pässe, einen deutschen und einen israelischen. Ihre Geschichte ist aber so ganz anders als die der jungen Israelis, die es momentan nach Berlin zieht. Zwar gehört auch sie der sogenannten dritten Generation an, den Enkeln verfolgter Juden also – doch Kupferberg ist in Berlin geboren. Ihre Eltern waren unter den wenigen, die in den 1970ern aus Israel weggegangen sind, zurück in die einstige Heimat der Großeltern. In die "unmögliche Heimat", wie der US-Historiker Anthony Kauders Deutschland nennt. Die Remigration der Juden nach Deutschland sei eine "Geschichte des schlechten Gewissens", schreibt er – vereint hätte die meisten Auswanderer das Schuldgefühl, ins "Land der Täter" zurückzugehen. Nur wenige wagten das, weder als Tourist, noch als Migrant. "In den 70ern waren Deutschland-Reisen tabu. Das hat sich sehr verändert", sagt Kupferberg .
Heute trägt Berlin nicht nur das alte Stigma der Schande, sondern auch den neuen Stempel der jungen, intellektuellen und dabei leistbaren Stadt. Dass jüdische Künstler aus aller Welt hier leben – der israelische Dirigent Daniel Barenboim ist nur einer von vielen – macht die Stadt für viele seiner Landsleute zum Sehnsuchtsort. Die Vergangenheit wird da zur Nebensache.
"Berlin ist unkompliziert"
Wichtiger sind jetzt lebensnahe Dinge. "Das Leben in Israel ist teuer. Oft können sich junge Eltern nicht mal die Kinderbetreuung leisten. In Berlin ist das leichter", sagt Kupferberg. Auch Nir und Doron sind gekommen, weil es hier einfacher ist. Als sie vor knapp zehn Jahren in Tel Aviv ihr eigenes Plattenlabel gründeten, wollten sie etwas verändern, sagen die beiden. Mit Partys auf Dachterrassen, oft illegal, wollten sie die Musikszene beleben.
"Aber das mit dem Verändern, das ist in Israel oft schwierig", sagt Nir. Oft scheiterten ihre Initiativen an Beschwerden der Nachbarn, oft auch an behördlichen Restriktionen, Förderung gebe es keine. "Berlin ist da viel unkomplizierter. Die Stadt hat uns gleich willkommen geheißen."
Auch das Label läuft, bis zu 14 Mitarbeiter beschäftigen die zwei in Spitzenzeiten. Berlin bekommt ihnen. "Angefeindet wurden wir nie", sagen sie und schütteln den Kopf.
Nahost-Konflikt im Gepäck
Antisemitismus, darüber werde mehr bei den in Berlin geborenen Juden gesprochen, meint Yael Kupferberg. Den gebe es zwar durchaus, auch deutlich präsenter als noch vor einigen Jahren – 2014 stieg die Zahl der Übergriffe um ein Viertel. Allerdings kämen diese nicht mehr nur aus der rechten Szene, sondern auch von muslimischen Jugendlichen. Aber auch die Israelis, die nach Berlin kommen, haben den Nahost-Konflikt im Gepäck. "Die Politik Netanyahus, die zunehmend radikalisierte Situation in der Region, das alles trägt dazu bei, dass die Leute auswandern", sagt Kupferberg.
Nir und Doron halten sich mit Aussagen zu Israels Politik zurück, es scheint die beiden nicht wirklich zu interessieren. Vielleicht haben sie aber auch schon zu viel darüber geredet. Doron erzählt lieber von seinem besten Freund, einem Palästinenser, der auch hier in Deutschland lebt. "Es ist so schade, dass in Israel um alles gekämpft wird."
Ihr Café soll deshalb ein "Place of Peace" sein. "Wo jeder willkommen ist", sagt Nir. "Und wo man die Realität ein bisschen vergessen kann."
Ganz ohne Politik geht es eben doch nicht.
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