"Der Gemeinschaftsgedanke fehlt in Libyen"

Verheerende Sicherheitslage: Der Alltag wird von Milizen und dem Kampf der Regierungstruppen gegen den IS bestimmt.
Syrien- und Libyen-Gespräche in Wien. Der frühere Wirtschaftsdelegierte in Tripolis über "sein Libyen".

David Bachmann hat den Umsturz in Libyen und den Bürgerkrieg hautnah erlebt. Als 2011 der Arabische Frühling ausbrach, war er Wirtschaftsdelegierter in Libyen, einer florierenden Volkswirtschaft mit guten Beziehungen zur österreichischen Wirtschaft. 2013 verließ er sein "geliebtes Libyen", nachdem die Sicherheitslage immer schlechter wurde. Auslöser war auch, dass er beim Joggen entführt wurde.

"Der Gemeinschaftsgedanke fehlt in Libyen"
David Bachmann & Gadaffi
Bachmann sprach mit dem KURIER über...

... die Euphorie nach der Revolution

"Nach dem Sturz Gaddafis waren alle euphorisch. Alle, die im Freiheitskampf Libyens gekämpft hatten, warteten auf ihre Früchte. Jetzt komme der Aufbau. Das Geschäft sollte noch besser werden als vorher. 2012 liefen die ersten Wahlen gut ab. Es kam ein vom Westen akzeptiertes Ergebnis, bei dem die Säkularen die Oberhand hatten. Dann ging es kontinuierlich bergab. Die Gesellschaft zersplitterte sich wieder."

... die Verbesserung oder Verschlechterung der Lage

"Vor der Revolution war es nicht besser und nicht schlechter. Auch da hat vieles nicht funktioniert. Doch jeder Libyer wusste: Da gibt es ein – nicht gerechtes – System. Wenn du nicht mit ihm mitschwimmst, hast du es nicht gut. Aber das System garantiert Recht und Ordnung. Mit eiserner Hand. Und diese eiserne Hand hat eben nach der Revolution gefehlt. Auch öffentliche Dienste (Sicherheit, Verwaltung, Justiz etc.) waren dann überhaupt nicht mehr vorhanden."

... die dennoch notwendige Revolution

"Für reichere Libyer und Ausländer war es in der Gaddafi-Zeit besser als heute. Aber viele Libyer – vor allem die, die nicht am Futtertrog waren – wollten verhindern, dass Muammar Gaddafi weitere 20 Jahre regiert. Oder sein Sohn weitere 40 Jahre."

... das Leben in Tripolis heute

"In Tripolis lebt man heute ein relativ normales Leben. Nur punktuell bekämpfen sich rivalisierende Banden oder Milizen. Pick-ups, auf denen kleinere Fliegerabwehrraketen montiert sind, gehören zum Stadtbild. Man hört, dass es in den Läden nahezu alles gibt. Auch österreichische Fruchtsäfte, Energydrinks etc. Doch das Geld versiegt langsam. Libyen gibt Jahr für Jahr um einiges mehr aus, als es einnimmt. Die Erdölproduktion ist von 1,6 Millionen Barrel Höchststand auf 300.000 gesunken und der Ölpreis von 100 auf 40 Dollar gefallen."

... die Hoffnung der Libyer

"In der Revolution waren noch die großen Ideale. Aber danach hat schnell jeder versucht, für sich das Beste herauszuholen. Der Gemeinschaftsgedanke fehlt. Er war eigentlich nie da. Was sich stark geändert hat, ist die Zuversicht der Leute. Libyer sagen gerne ‚mafish mushkila‘ (kein Problem), aber irgendwann gibt man die Hoffnung offenbar doch auf. Eine Resignation ist durchaus feststellbar. Heute werden Sie kaum noch einen Libyer finden, der ‚mafish mushkila‘ sagt."

... die fehlende "starke Hand"

"Was das System Gaddafi geschafft hat, ist ein föderaler Interessensausgleich. Er hat die Stämme einigermaßen ruhig gehalten. Wenn einer aufbegehrt hat, wurde mit eiserner Faust zurückgeschlagen. ‚Mit mir oder gar nicht.‘ Jetzt ist die Frage, wer bildet diese Einheit? Findet sich eine Einigungsfigur, die diesen Interessensausgleich schafft? Die Einigungsbereitschaft schwindet mit den Jahren."

... die Bedeutung für Europa"

Für uns in Europa ist es ganz schlecht, was sich in Libyen abspielt. Das Mittelmeer, die Flüchtlingsströme. Wirtschaftlich ist der Raum tot. Deswegen glaube ich, dass die EU dort ein Interesse nach Ordnung hat."

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