Diskriminierung: Händchenhalten als Tabu
Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union wurde eine Studie in den 27 EU-Mitgliedsstaaten inklusive Kroatien zur Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT) durchgeführt, bei der die Betroffenen selbst zu Wort kamen. Von teils "schockierenden Ergebnissen" sprach der Niederländer Friso Roscam Abbing von der EU-Grundrechteagentur (FRA): So habe etwa mehr als die Hälfte der LGBT aus seinem als liberal geltenden Heimatland Angst vor öffentlichem Händchen-Halten. Österreichs Bewertung liegt in beinahe allen Kategorien im europäischen Mittelfeld.
Schwerpunktthemen der Studie bilden Diskriminierungserfahrungen im Alltags- und Arbeitsleben sowie im Bildungsbereich. So wurde etwa die Hälfte der LGBT (47 Prozent) während der dem Befragungszeitpunkt vorangegangenen zwölf Monate Opfer von Diskriminierung. Österreich liegt hierbei mit 48 Prozent knapp über dem Durchschnittswert. Demgegenüber scheint das Klima für LGBT in den Niederlanden mit rund einem Drittel Betroffenen insgesamt etwas freundlicher zu sein. Ungarn schnitt am schlechtesten ab: Rund zwei Drittel wurden Opfer von Diskriminierung.
Kein öffentliches Bekenntnis
Die FRA kam insgesamt zur Erkenntnis, dass sich zahlreiche LGBT EU-weit inklusive Kroatien aus Angst nicht zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. Zudem zögen sich Diskriminierungserfahrungen durch viele Aspekte des Alltagslebens: So mussten sich einige der Befragten bei Arztbesuchen abschätzige Kommentare gefallen lassen, auch im Bankenbereich gebe es gelegentlich Diskriminierungsfälle gegenüber LGBT-Kunden, sagte FRA-Mitarbeiter Dennis van der Veur bei der Präsentation der Studie am Dienstag in Wien.
Auch Rauswürfe aus Restaurants mit den Worten "Sie sind hier nicht willkommen" seien vorgekommen, so van der Veur. Zwei Drittel (66 Prozent) der insgesamt 93.097 Befragten geben an auf ein öffentliches Händchen-Halten zu verzichten. Bei Schwulen und bisexuellen Männern trifft dies auf grob drei Viertel der Befragten zu. In Österreich unterlässt über die Hälfte der LGBT (54 Prozent) diese zuneigende Geste in der Öffentlichkeit.
Grund dafür sei Angst vor Belästigung, Beschimpfung oder Bedrohung. Gewalttätigen Übergriffen und Drohungen sehen sich in erhöhtem Maße Transgender-Personen ausgesetzt: Über ein Drittel wurde einmal attackiert, knapp ein weiteres Drittel machte diese Erfahrung bereits dreimal - und öfter.
Die Schulzeit als Tortur
Am Arbeitsplatz und auf Jobsuche sehen sich europaweit trotz EU-Recht des garantierten Schutzes rund ein Fünftel der LGBT Diskriminierung ausgesetzt. Neun von zehn Befragten wurden während ihrer Schulzeit Zeugen von abschätzigen Kommentaren gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen oder transgender Mitschülern. Rund zwei Drittel aller Befragten versteckten ihre sexuelle Orientierung in der Schule. "Für viele war die Schulzeit die Hölle", sagte Abbing. Manche würden noch heute unter jenen Erfahrungen leiden.
Aus Sicht der FRA bestehe für die EU-Mitgliedsstaaten auf mehreren Ebenen Handlungsbedarf: Im Bildungsbereich könnten Kampagnen zur Situation von LGBT für Lehrpersonal, Eltern und Schüler Vorurteilen und Ausgrenzung entgegenwirken. Zur Bekämpfung von Diskriminierung im Arbeitsbereich sei die EU mit adäquaten Maßnahmen gefordert. Um der Angst von LGBT vor Übergriffen entgegenwirken zu können, brauche es die rechtliche Einbettung auf EU-weiter und nationaler Ebene zur Anerkennung und zum Schutz der Betroffenen. In Österreich könnte dies etwa durch eine Erweiterung des bestehenden Verhetzungsparagrafen gewährleistet werden.
Die Befragung wurde innerhalb von drei Monaten im Jahr 2012 durchgeführt, das Mindestalter zur Teilnahme lag bei über 18 Jahren. Aus Österreich nahmen insgesamt 2.543 Personen an der Studie teil. Zeitgerecht zum Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie wurden die Ergebnisse am Freitag in Den Haag präsentiert - die Studie nachlesen kann man hier.
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