EuGH: Europäische Union darf Regeln für Mindestlöhne festlegen

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Allerdings hoben die Richter zwei Bestimmungen der im Jahr 2022 per Mehrheitsentscheidung beschlossenen Richtlinie auf.

Die Europäische Union ist befugt, europaweite Regeln für Mindestlöhne festzulegen. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am heutigen Dienstag in Luxemburg. Die Richter entschieden aufgrund einer Klage Dänemarks, das die EU-Kompetenz in dieser Frage beeinsprucht hatte. Allerdings hoben die Richter zwei Bestimmungen der im Jahr 2022 per Mehrheitsentscheidung beschlossenen Richtlinie auf.

Dabei geht es erstens um die Kriterien, die EU-Länder mit Mindestlöhnen bei der Festlegung berücksichtigen mussten - etwa die Kaufkraft. Zweitens kippte der EuGH das Verbot einer Senkung des gesetzlichen Mindestlohns, wenn es einen automatischen Anpassungsmechanismus gibt.

Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne definiert Standards, wie gesetzliche Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden sollen. Dänemark hatte argumentiert, dass der EU-Gesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie seine Kompetenzen überschritten habe. Es bezieht sich dabei auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Mit diesem werden aus Sicht Dänemarks unter anderem Richtlinien für Arbeitsbedingungen möglich gemacht, nicht aber für das Arbeitsentgelt.

Unmittelbarer Eingriff in Arbeitsentgelt-Festsetzung aufgehoben

Dass der EU-Gesetzgeber Kriterien für die Festlegung der Mindestlöhne aufgeführt habe, sei ein unmittelbarer Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts, urteilten die Richterinnen und Richter. Die Höhe der Löhne ist nach den EU-Verträgen jedoch Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Die EU darf mit Richtlinien lediglich beispielsweise Arbeitsbedingungen regeln. Das Gleiche gelte für die Vorschrift, die eine Senkung der Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen Indexierung unterliegen.

Im Übrigen bleibt die Mindestlohnrichtlinie dem Urteil zufolge bestehen. Sie verpflichtet die Länder etwa weiterhin, auf hohe Abdeckungsraten von Tarifverträgen hinzuwirken: Länder, deren KV-Abdeckung 80 Prozent unterschreitet (z.B. Deutschland), müssen Aktionspläne zur Steigerung der Kollektivvertragsbindung erstellen. 

Der EuGH verneinte hier einen unmittelbaren Eingriff in das Koalitionsrecht, das ebenfalls in der Zuständigkeit der EU-Länder liegt. Die Bestimmung verpflichte die Mitgliedstaaten nämlich nicht, zu regeln, dass mehr Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beizutreten haben.

Generalanwalt war für Abschaffung der Richtlinie

In seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren war der zuständige Generalanwalt des EuGH der Argumentation in zentralen Punkten gefolgt und hatte dem Gerichtshof empfohlen, die Richtlinie in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Richter schlossen sich dieser Einschätzung jedoch nicht an. Laut Arbeitsrechtlern wäre eine Nichtigkeitserklärung ein herber Rückschlag für die EU-Sozialpolitik gewesen. 

In Österreich gibt es bisher keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn per se. Kollektivverträge sehen aber Mindestgrenzen vor, die nicht unterschritten werden dürfen. 98 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande sind laut ÖGB-Angaben durch Kollektivverträge geschützt. Österreich muss hier also keine Maßnahmen setzen. 

„Die Beschäftigten in Österreich werden von der Umsetzung trotzdem indirekt profitieren“, so EGB-Präsident Wolfgang Katzian in einer Aussendung. Sämtliche Nachbarländer, inklusive Deutschland (49 Prozent), liegen teilweise weit (Ungarn: 22 Prozent) hinter dem Ziel der Mindestlohnrichtlinie. „Die Konsequenzen kennen wir: angeheizter Lohnwettbewerb sowie Lohn- und Sozialdumping bei Entsendungen“, sagt der EGB-Präsident.

Die Richtlinie wurde mit dem Ziel verabschiedet, endlich Lohnkonvergenz nach oben zwischen alten und neuen Mitgliedsländern zu schaffen. Während sich die Produktivitätsleistung der Beschäftigten weitgehend angeglichen hat, verdienen etwa slowakische, tschechische oder ungarische Arbeitnehmer in Betrieben derselben Konzerne nur ein Drittel des Lohns ihrer Kollegen in westlichen Mitgliedsländern. „Diese Ungleichheit durch das bis jetzt nicht eingelöste Wohlstandsversprechen der EU hat zu starken gesellschaftlichen Verwerfungen bis hin zu einer breiten Anti-EU-Stimmung geführt“, so Katzian. 

Und: „Die Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie ist ein wichtiger Schritt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Mit der weitgehend bestätigten Gültigkeit muss die Mindestlohnrichtlinie jetzt schnell umgesetzt werden!“ 

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