Korruption und Zensur: Scharfe EU-Kritik an Türkei

Schlechtes Zeugnis aus Brüssel. Zusammenarbeit durch Flüchtlingskrise aber notwendig, EU-Beitritt nicht vom Tisch.

Angesichts der Flüchtlingskrise ist die EU auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen. Ein schlechter Fortschrittsbericht kommt da ungelegen, die Veröffentlichung wurde immer wieder verschoben. Am Dienstag war es nun soweit. Massive Kritik übt die EU an der Verlangsamung von politischen Reformen sowie an Rückschlägen bei Demokratie und Menschenrechten in der Türkei. "Das Reformtempo hat sich im vergangenen Jahr verlangsamt", heißt es in dem von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn im EU-Parlament präsentierten Fortschrittsbericht.

"Der Bericht unterstreicht den generell negativen Trend in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte", teilte die EU-Kommission mit. "Deutliche Mängel beeinträchtigten die Justiz sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Türkei hat eine ernsthafte Verschlechterung ihrer Sicherheitslage erfahren. Der Friedensprozess in der Kurdenfrage kam trotz früherer positiver Entwicklungen zu einem Stillstand. Es ist ganz wichtig, dass die Friedensgespräche wieder aufgenommen werden. Die neue Regierung nach den Neuwahlen vom 1. November muss diese dringlichen Prioritäten angehen", heißt es in dem Report.

Internet-Zensur

Scharf kritisiert wird auch das Vorgehen der Regierung in Ankara gegen Medien und die Internet-Zensur. "Anhaltende neue Strafverfolgungen gegen Journalisten, Autoren oder Nutzer sozialer Medien, die Einschüchterung von Journalisten und Medien sowie die Aktionen der Behörden zur Einschränkung der Medienfreiheit sind von ernsthafter Besorgnis. Änderungen im Internetgesetz sind ein bedeutender Schritt zurück von europäischen Standards."

Starker politischer Druck

Die Unabhängigkeit der Justiz und das Prinzip der Gewaltentrennung sei seit 2014 "unterminiert", heißt es in dem Bericht weiter. Richter und Staatsanwälte würden unter starkem politischen Druck stehen. Die Kampagne der Regierung gegen "Parallelstrukturen" im Staat wird in diesem Zusammenhang gesehen. Die Leistungsbilanz der Türkei im Kampf gegen Korruption "bleibt unzulänglich", heißt es weiter. Der "unangemessene Einfluss der Exekutive in die Ermittlungen und Verfolgung von hochrangigen Korruptionsfällen bleibe weiterhin "eine große Besorgnis".

Hahn will neue EU-Verhandlungskapitel

Hahn will trotz der kritisierten Rückschritte mit der Türkei neue Verhandlungskapitel in den EU-Beitrittsgesprächen mit Ankara eröffnen. Hahn sprach am Dienstag bei der Vorstellung der Fortschrittsberichte im EU-Parlament in Brüssel von der "Vorbereitung auf eine mögliche Öffnung der (Grundrechts-)Kapitel 23 und 24".

Dies wäre "eine ganz wesentliche Maßnahme, um auch die Türkei zu einem Lackmustest zu bewegen", wie sie es mit Grundrechten halte, sagte Hahn. "Wir sind uns vollkommen der politischen Situation bewusst", betonte er. Sollten die Zypern-Gespräche positiv verlaufen, könnte dies die Beitrittsgespräche zusätzlich beschleunigen. Hahn betonte allerdings, die Eröffnung von Verhandlungskapiteln bedürfe der Einstimmigkeit unter den 28 EU-Staaten, hier seien "klare Spielregeln gegeben".

"Beitrittsverhandlungen sind der beste Hebel, um die Dinge zu verändern", sagte Hahn. "Nach den Verhandlungen haben wir bekanntermaßen keinen Hebel."

Zusammenarbeit notwendig

Hahn verteidigte die laufenden Gespräche der EU mit Ankara über einen Aktionsplan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wenn es um die Visafreiheit und um die Beitrittsverhandlungen gehe, würden aber klare Regeln gelten. "Es kann keine Speziallösung für ein Land geben", was europäische Standards betreffe. Visabefreiung gehe nicht ohne Monitoring und Maßnahmen vonseiten des betreffenden Staates. So müssten biometrische Pässe und Ausrüstung eingeführt werden, was nicht von heute auf morgen gehe. Möglich sei aber eine Beschleunigung des Prozesses, etwa dadurch, dass die EU zweimal im Jahr einen Bericht mache.

Auf Ebene der EU-Staats- und Regierungschefs gelte weiterhin der Beschluss, mit der Türkei "ergebnisoffene Verhandlungen zu führen", sagte Hahn im Hinblick auf die 2005 aufgenommenen Beitrittsgespräche. Daran habe sich nichts geändert. Die Türkei sei für die EU ein wichtiger Partner, und auch umgekehrt sei die EU für Ankara der berechenbarste und wirtschaftlich wichtigste Partner.

Die gegenwärtige Flüchtlingskrise verstärke die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Staaten Südosteuropas.

Kommentare