Etappensieg gegen ungarische Steuerwillkür

Ungarns Premier Viktor Orban (im Bild bei der Eröffnung des Budapester Werks des deutschen Konzerns Knorr-Bremse im Vorjahr) zog sich mit der Erfindung neuer „Krisensteuern“ und Sonderabgaben den Zorn ausländischer Investoren zu.
Europäischer Gerichtshof gibt Sporthändler Hervis recht und verurteilt die Sonderabgabe für Einzelhändler.

Es war eine Steuer ganz nach der Manier des ungarischen Premiers: Rückwirkend eingehoben, daher rasch wirksam und vor allem ausländische Unternehmen treffend. Um das gigantische Budgetloch zu flicken, ergriff die ungarische Regierung unter Regierungschef Viktor Orban 2010 zu radikalen Maßnahmen und schockierte ausländische Investoren mit neuen Sonderabgaben. So mussten Einzelhändler 0,1 bis 2,5 Prozent des Jahresumsatzes als „Krisensteuer“ abführen. Um kleine ungarische Geschäfte zu schützen und dafür zum Teil übermächtige Handelsketten zu treffen, fiel die Steuer erst ab einem Jahresumsatz von umgerechnet 1,7 Millionen Euro an.

Eindeutig diskriminierend und damit EU-rechtswidrig, fand der heimische Sportartikelhändler Hervis, der 29 Filialen in Ungarn betreibt. Die 100-Prozent-Tochter der Spar-Gruppe zog mit einer Klage vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Dieser gab der Spar-Tochter nun recht und verurteilte die ungarische Sondersteuer für den Einzelhandel „wegen mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Unternehmenssitzes“, wie es in der Begründung heißt. Im Falle von Hervis wurde die Steuerschuld nämlich nicht nach dem Jahresumsatz seiner 29 ungarischen Shops, sondern nach dem Jahresumsatz aller mit Hervis verbundenen Unternehmen im Spar-Konzern berechnet. Dadurch ergab sich eine erheblich höhere Steuerlast als etwa für einen ungarischen Franchise-Partner.

75 Millionen Euro

Etappensieg gegen ungarische Steuerwillkür
Mitarbeiterstand: aktuell knapp 3.000, davon 1.300 in Österreich.
„Wir sind sehr erfreut über die Entscheidung des EuGH“, kommentiert Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Ob die bereits gezahlte Krisensteuer von insgesamt 75 Millionen Euro für drei Jahre jetzt zurückgefordert wird, behält sich Spar noch offen. „Wir müssen erst sehen, wie die ungarischen Gerichte jetzt mit der Entscheidung umgehen“, so Berkmann.

Die Wirtschaftskammer, die sich bei der EU-Kommission über die Sondersteuer beschwerte, sieht in dem Urteil sehr wohl eine Rückerstattungspflicht der Ungarn. „Durch das Urteil wurde nicht nur in Ungarn betroffenen Unternehmen geholfen. Es wurde auch ein klares Signal gesetzt, dass Staatshaushalte nicht auf Kosten von Investoren aus anderen EU-Staaten saniert werden dürfen“, meint WKÖ-Generalsekretärin Anna Maria Hochhauser.

Neben Spar waren unter anderem die heimischen Händler bauMax (15 Filialen) und kika/Leiner von der Steuer betroffen. Auf Druck der EU hat Ungarn die umstrittene Krisensteuer für Händler Ende 2012 wieder abgeschafft.

Investitionsflaute

Erika Teoman-Brenner, Österreichs Wirtschaftsdelegierte in Budapest, sieht in dem EuGH-Urteil zwar ein „positives Zeichen für die betroffenen Unternehmen“, weiterreichende Auswirkungen erwartet sie aber nicht. Grundsätzlich herrsche im ungarischen Einzelhandel eine Investitionsflaute. Das liege aber weniger an der Steuerlast als an der sinkenden Kaufkraft wegen der anhaltenden Wirtschaftsflaute. „Alle Einzelhändler haben mit schrumpfenden Umsätzen zu kämpfen“, sagt Teoman-Brenner. An einen Rückzug denken trotzdem die wenigsten, auch Spar hat bisher keine ihrer insgesamt 391 Standorte geschlossen.

Besser für ausländische Investoren sieht es derzeit in der von der Regierung massiv geförderten Autoindustrie aus. Der Automotive-Sektor gilt nicht zuletzt wegen der Investments deutscher Autokonzerne wie etwa Audi in Györ als Motor der ungarischen Wirtschaft.

Wirklich Grund zur Freude gab es zwischen Ungarn und Österreich schon länger nicht mehr. Das bekam auch der neue Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter zu spüren: Weil sein ungarischer Amtskollege ein Gespräch über das umstrittene Bodengesetz verweigerte, bat Rupprechter Ende Jänner den EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier um Hilfe.

Hintergrund: Rund 200 österreichische Landwirte bewirtschaften insgesamt 200.000 Hektar ungarisches Land. Sie haben zwischen 1994 und 2001 sogenannte „Nießbrauch-Verträge“ abgeschlossen, die Pachtverträgen ähneln. Allerdings wurde schon bei Vertragsabschluss das Entgelt für die gesamte Laufzeit im Voraus bezahlt. Im Vorjahr änderte Ungarn plötzlich das Gesetz und lässt diese Verträge nun per 1. Mai, unabhängig von der Laufzeit und ohne Entschädigungsanspruch, enden. Die EU-Kommission prüft die Vorwürfe Österreichs.

Zwangsumwandlung

Hierzulande hält man das für „Enteignung“, ein Thema, das auch in Zusammenhang mit den Banken aufgetaucht ist: Kürzlich schreckte der ungarische Premier Viktor Orban die Institute mit der Ankündigung, ein staatliches Bankensystem aufbauen und ausländische Banken zurückdrängen zu wollen. Schon davor hatte er für Frust gesorgt, weil er den Banken einen wesentlich günstigeren Wechselkurs für Schweizer Franken als jenem auf den Finanzmärkten vorgeschrieben hatte. Das sollte die ungarischen Kreditnehmer entlasten. Viele von ihnen hatten in den Boomjahren selbst für simple Konsumgüter, aber auch für Immobilien Fremdwährungskredite aufgenommen, die die Banken großzügig vergeben hatten. Die Banken beschwerten sich zwar bei der EU-Kommission gegen die Regulierung der Ungarn, Klagen gab es aber keine.

Schleichender Rückzug

Aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit ziehen sich Finanzdienstleister langsam aus Ungarn zurück. 2012 fiel das Investitionsvolumen um 5,2 Prozent. Die Raiffeisenbank International, bei der es Verkaufsgerüchte in Ungarn gab, erklärte kürzlich aber, am Ungarn-Engagement festzuhalten, ebenso wie Erste-Group und Bank Austria. So richtig froh macht sie das Engagement im Nachbarland allerdings nicht mehr: Ungarn und Österreich kassieren nämlich weltweit die höchsten Bankenabgaben. Aber auch andere Sektoren, wie die Telekom- und Energiebranche werden mit Sondersteuern belastet.

750.000 Euro auf einem Konto im Ausland – in diesem Fall in Österreich – versetzen Ungarns ohnehin vor sich hin schwächelnder Opposition einen verheerenden Tiefschlag. Konto-Inhaber Gabor Simon, Vize-Parteichef der ungarischen Sozialisten, hatte bei seiner Vermögenserklärung im Parlament offenbar vergessen, seine nicht unbeträchtlichen Euro- und Dollar-Beträge im Ausland anzugeben. Geschweige denn plausibel zu erklären, wie dieses Vermögen aus seinem Einkommen zustande gekommen sein soll.

Der junge Oppositionsführer und Parteichef der Sozialisten (MSZP), Attila Mesterhazy, zog gestern sofort die Notbremse. Ohne viel Federlesens wurde sein Vize Gabor aus der Partei ausgeschlossen und von der Kandidatenliste für die Parlamentswahlen am 6. April gestrichen. Doch der Schaden ist geschehen: Viele ungarische Wähler sehen sich einmal mehr in ihrer Vermutung bestätigt, dass der politischen Elite des Landes, sei es Regierung, sei es Opposition, nicht restlos zu trauen ist.

Schon jetzt muten die Aussichten für das oppositionelle Wahlbündnis gegen den national-konservativen Regierungschef Viktor Orban trüb an: Nur 22 Prozent der Ungarn würden laut jüngsten Umfragen für das Bündnis aus Sozialisten (MSZP) und dem sozial-liberalen Zusammenschluss Együtt-PM (Gemeinsam-Dialog für Ungarn) stimmen. Premier Orban und seine FIDESZ hingegen können mit 39 Prozent der Stimmen rechnen. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit, wie er sie derzeit im Parlament besitzt, wäre damit dahin. Doch den Wahlsieg glaubt die Orban-Regierung bereits in der Tasche zu haben.

Anfeindungen

Im tobenden ungarischen Wahlkampf dürfte das Auffliegen von Gabors Schwarzgeldkonto nicht die letzte Enthüllung gewesen sein. Da werden in den regierungskritischen und -freundlichen Medien gegenseitig schwerste Vorwürfe erhoben, von Vetternwirtschaft, Korruption und illegaler Bereicherung ist die Rede.

In Oppositionskreisen kursiert gar das Schimpfwort „Kleptorbanien“. Ein Vorwurf, der sich darauf bezieht, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge meist nur noch Parteifreunde der FIDESZ zum Zug kommen. Besonderen Anstoß erregten zuletzt die jüngsten Pläne Viktor Orbans für seinen Geburtsort Felcsut. Die 1800-Seelen-Gemeinde soll einen Flugplatz erhalten, alle staatlichen Genehmigungen wurden bereits ereilt. Ein riesiges Fußballstadion, das doppelt so viele Zuschauer fassen wird, wie Felcsut Einwohner hat, ist in Bau.

Seinen Frust über die Intransparenz der politischen Abläufe ließ gestern ein Blogger im Netz los: „Es wäre an der Zeit, dass die NSA mal eine gute Tat vollbringt und die Akte Orban und Konsorten lüftet. Vielleicht tritt dann die Katharsis ein.“

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