Eskalation in der Ukraine: "Es wird 4000 Särge geben"
Die Antwort kam postwendend und knapp. Zunächst hatte die ukrainische Armee Flugblätter in Rebellengebiete in der Ostukraine gefeuert. Die Forderung: im Austausch gegen eine Amnestie müssten ultimativ die Waffen niedergelegt werden. Die Führung der selbst ernannten Volksrepublik Donezk (DNR) wies das prompt zurück.
Die Folge sind die anscheinend bisher schwersten Kämpfe in der Region seit Beginn der gesamten Krise. Es geht um das Gebiet um die drei nahe beieinander gelegenen Städte Krasny Liman, Slowjansk und Kramatorsk in der Region Donezk. Ein Sprecher der ukrainischen Armee bezeichnete die Auseinandersetzungen dort als "weit mehr" als man bisher gesehen habe. Auf beiden Seiten seien schwere Waffen, Panzerfahrzeuge und unter Umständen auch Kampfpanzer im Einsatz.
Der Einsatz letzterer aufseiten der Separatisten war zunächst nicht bestätigt. Klar aber ist, dass die Separatisten über eine nicht näher bekannte Anzahl an T-72-Panzern russischer Bauart verfügen – solche befinden sich nicht im Arsenal der ukrainischen Armee. Ebenso unbestätigten Berichten zufolge sollen sich 4000 Kämpfer aufseiten der Separatisten in der Region gesammelt haben. Auf diese Anzahl angesprochen sagte ein Sprecher der Armee: "Dann wird es 4000 Särge geben."
Unklar war, ob Regierungskräfte nach Zurückweisung des Ultimatums in die Offensive gegangen waren – in der Wortwahl Kiews nennt sich das "aktive Phase" –, oder ob Rebellenverbände als erstes ukrainische Stellungen um die seit kurzem wieder von der Armee gehaltene Stadt Krasny Liman angegriffen hatten. Unumstritten ist hingegen ein neuerlicher russischer Truppenaufmarsch entlang der Grenze zur Ukraine. Moskau spricht von einer "Sicherheitsmaßnahme". NATO-Generalsekretär Rasmussen sprach von einem "positiven Schritt", würden die Einheiten den Strom an Waffen und Kämpfern in die Ukraine unterbinden. Leider, so Rasmussen, sei das aber "nicht das, was wir sehen".
Inmitten dieser Eskalation scheint es zumindest im Fall der seit drei Wochen verschleppten OSZE-Beobachter mehr Klarheit zu geben. Ein Sprecher der OSZE sagte, erstmals seit Verschwinden der zwei OSZE-Teams (nahe Donezk und in der Region Lugansk) habe man wieder Kontakt zu den Entführten.
Abkommen mit der EU
Erst am Mittwoch hatte Präsident Petro Poroschenko eine einseitige Waffenruhe sowie eine Amnestie für alle Kämpfer in Aussicht gestellt, die ihre Waffen niederlegen. Am Donnerstag war auch ein Treffen Poroschenkos mit ostukrainischen Vertretern aus Wirtschaft und Politik geplant, um die Krise zu beraten. Zudem waren im Parlament Abstimmungen vorgesehen. Thema: Personalien aber auch vorgezogene Parlamentswahlen, wie sie Poroschenko will. Und, so gab Poroschenko bekannt, kommenden Freitag will er den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnen.
Die OSZE hat erstmals wieder Kontakt zu den seit rund drei Wochen in der Ostukraine verschleppten Beobachterteams. "Sie sind okay und nicht verletzt", sagte der Sprecher der OSZE-Mission in Kiew, Michael Bociurkiw, am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Einzelheiten wolle er nicht mitteilen, um die Sicherheit der Mitarbeiter nicht zu gefährden.
Im Osten der Ukraine liefern sich Regierungseinheiten seit April blutige Gefechte mit Aufständischen. Die OSZE ist in dem Land mit rund 300 internationalen und 20 lokalen Mitarbeitern vertreten. Zu einer Gruppe von vier OSZE-Beobachtern war der Kontakt am 26. Mai in der Region Donezk abgebrochen. Am 29. Mai verlor die OSZE dann die Verbindung zu einer weiteren Gruppe mit vier Beobachtern und einem ukrainischen Übersetzer in der Nachbarregion Lugansk.
Schwere Gefechte
Im Osten der Ukraine haben sich prorussische Separatisten und Regierungssoldaten indessen erneut schwere Kämpfe geliefert. Es gebe Berichte, dass auf beiden Seiten Panzer in Stellung gebracht worden seien, verlautete aus dem ukrainischen Militär. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Am frühen Morgen soll es nahe der Stadt Krasni Liman zu schweren Kämpfen gekommen sein.
Die Stadt war seit Anfang des Monats unter Kontrolle der Regierungstruppen. Separatisten in der Region hätten versucht, durch die Absperrungen der Soldaten zu brechen. An den Kämpfen könnten bis zu 4000 Separatisten beteiligt sein, sagte der Militärvertreter.
Ein Regierungssprecher sagte, der "Einsatz gegen Terroristen" werde fortgesetzt. "Der Kampf geht weiter." Auf die Frage, ob tatsächlich bis zu 4000 Separatisten beteiligt seien, antwortete er: "Dann wird es 4000 Särge geben."
Poroschenko: EU hat Schlüsselrolle in Ukraine-Krise
Beide sprachen auch über die von Poroschenko angekündigte einseitige Waffenruhe im Kampf gegen prorussische Separatisten, wie ukrainische Medien am Donnerstag mitteilten. Dazu traf Füle sich auch mit dem ukrainischen Sicherheitsratschef Andrej Parubij. Poroschenko hatte die Initiative am Vortag angekündigt, aber keinen Termin genannt.
Er werde schon bald eine sehr kurze Feuerpause verkünden, in der die prorussische Separatisten ihre Waffen abgeben und auf eine Amnestie hoffen könnten, sagte Poroschenko am Mittwoch in Kiew. Die Aufständischen lehnten den Vorstoß des Staatschefs allerdings ab. "Sie stellen das Feuer ein, wir geben die Waffen ab und sie schnappen sich uns. Das ist sinnlos", sagte der Separatistenführer Denis Puschilin.
Der ukrainische Präsident erwartete am Donnerstag Vertreter aus dem krisengeschüttelten Osten des Landes zu Verhandlungen in Kiew. "Es geht um Unternehmer und Politiker - Mitglieder der militanten Gruppen wurden nicht eingeladen", sagte Poroschenkos Sonderbeauftragte für die Krisenregionen Donezk und Lugansk, Irina Geraschtschenko.
USA drohen Russland mit weiteren Sanktionen
US-Vizepräsident Joe Biden hat Russland mit weiteren Sanktionen gedroht, wenn es den Separatisten im Osten der Ukraine nicht Einhalt gebiete. In einem Telefongespräch mit Poroschenko am Mittwoch sagte Biden, die USA und ihre Partner würden auf Russland weiteren Druck machen, wenn es seinen Einfluss auf die Separatisten nicht nutze, erklärte das US-Präsidialamt.
Die USA und die Europäischen Union haben bisher Sanktionen gegen einzelnen Personen und einige Unternehmen verhängt, weil Russland im März die Halbinsel Krim in sein Staatsgebiet eingliederte.
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