"Es darf in der Zukunft keine Opfer mehr geben"

"Nicht vergessen": Hiroshima-Überlebende Reiko Yamada
Eine Hiroshima-Überlebende erzählt aus ihrem Leben und lobt Österreichs Engagement gegen Atomwaffen.

Reiko Yamada ist keine gewöhnliche Touristin. An Österreich schätzt die 82-jährige Japanerin neben Kunst und Kultur vor allem eines: Die ablehnende Haltung gegenüber Atomwaffen und Atomenergie. Yamada ist Überlebende des US-Atombombenabwurfes über Hiroshima am 6. August 1945. Zuletzt verdeutlichte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die ablehnende Haltung Österreichs. Er rief vor der UNO zur nuklearen Abrüstung auf. Im Oktober will Österreich der UNO eine von 127 Staaten mitgetragene Resolution gegen Atomwaffen vorlegen. Yamada reiste anlässlich erster Gespräche heute, Montag, nach Wien. Der KURIER traf sie vorab an der Webster University Wien zum Gespräch.

KURIER: Frau Yamada, wie wurden Sie zur Anti-Atom-Aktivistin?
Reiko Yamada: Als ich 24 Jahre alt war, ging ich nach Tokio, um neu zu beginnen. Dort fiel mir auf, dass ich bisher kaum über den Atombombenabwurf gesprochen hatte. Niemand redete darüber. Ich dachte immer an die vielen Menschen, die namenlos im Hof meiner Schule begraben wurden. Später begann ich zu erzählen, was ich erlebt habe. Ich wollte den Leuten mitteilen, welch großes Leid die Atombomben angerichtet haben. Deshalb wollte ich weiterleben. Die Opfer wären umsonst gestorben, wenn darüber geschwiegen würde. Irgendwann kann ich selbst nicht mehr erzählen. Deshalb ist es wichtig, dass Junge über die Schrecken der Atombombe informiert werden.

Können Sie den Moment des Atombombenabwurfes beschreiben?
Ich war elf Jahre alt und ging in die Volksschule. Wir waren am Schulhof und hörten die Rede des Schuldirektors. Es war ein sehr heißer Tag. Plötzlich zeigte ein Schüler gen Himmel und schrie: „Schaut, ein B-29-Bomber!“ Ich sah nach oben und erkannte ein Flugzeug, das wendete. Ich bemerkte den schleifenförmigen weißen Kondensstreifen. „Schön“ dachte ich mir. Kurz darauf kam die Explosion. Es war sehr hell. Ich konnte nichts sehen. Heißer Sand brannte sich mir in den Rücken und die Druckwelle warf mich zu Boden. Danach war es komplett dunkel und es regnete. Das war der schwarze Regen – der radioaktive Fallout. Wir zitterten vor Kälte. Danach wollten alle nachhause. Mein Haus war 2,5 Kilometer vom Explosionsort entfernt. Viele Verletzte, die näher am Epizentrum gewesen waren, flüchteten in unseren Stadtteil. Die Verletzten waren furchtbar entstellt. Überall auf den Straßen waren Verletze, es gab kaum ein Durchkommen. Da merkte ich, dass etwas nicht stimmte.

Wie erging es Ihrer Familie?
Mein Vater war zirka einen Kilometer vom Epizentrum entfernt. Er wurde von einem einstürzenden Haus unter Holzbalken begraben, aber konnte sich befreien. Er kam blutüberströmt nachhause. Meine Mutter und meine 13-jährige Schwester waren zuhause. Sie war krank und ging deshalb nicht zur Schule. Ihre Schule war sehr nahe am Epizentrum: Dort kamen alle ums Leben. Meine älteste Schwester war ebenfalls näher am Epizentrum und kam schwer verletzt nachhause. Sie hatte Wunden und Verbrennungen vom Nacken bis über den ganzen Rücken. Wir konnten sie nicht medizinisch versorgen. Meine Mutter hat dünne Gurkenscheiben aufgeschnitten und sie zur Kühlung auf ihre Wunden gelegt.

Was sind Hibakusha?
Als Hibakusha bezeichnet man Menschen, die den Atombombenabwurf unmittelbar erfahren haben. Sie überlebten zwar den Atombombenabwurf, waren aber den Folgen wie der Druck- und Hitzewelle, der Verstrahlung und dem radioaktiven Regen direkt ausgesetzt.

Hibakusha wurden nach dem Krieg häufig diskriminiert. Haben Sie Erfahrungen damit gemacht?
Nein, ich selbst wurde nicht diskriminiert. Ich hatte im Gegensatz zu anderen keine äußerlich sichtbaren Wunden und war noch zu jung. Menschen mit offensichtlichen Wunden wurden diskriminiert. Viele wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Sie glaubten die Verstrahlung sei ansteckend. Vielen jungen Frauen unter den Hibakushas wurde geraten, nicht zu heiraten und keine Kinder zu kriegen.

Gab es nach Kriegsende staatliche Unterstützung für Ihre Familie?
Für uns direkt nicht. Wir waren zu weit entfernt. In sogenannten Direktstrahlungsgebieten erhielten die Opfer staatliche Unterstützung – aber nur für vier bis fünf Jahre. Wenn jemand wegen der Strahlung krank wurde, gab es ein wenig Unterstützung vom Staat.

Wie erlebten Sie die Atomkatastrophe von Fukushima 2011?
Nach der Fukushima-Katastrophe bin ich nach Tokio gefahren, um vor dem Energieministerium zu demonstrieren. Wir Hibakusha fordern, dass die Opfer von Fukushima lebenslang vom Staat Unterstützung erhalten müssen. Uns blieb das damals verwehrt. Als die Opfer von Hiroshima und Nagasaki kennen wir die Wirkung von Strahlung und deshalb treten wir für die Fukushima-Opfer auf.

Was sagen Sie zu Österreichs Anti-Atom-Politik?
Ich finde das sehr gut. Ich war kürzlich in Finnland und da hat man mir versichert, dass die Atomkraftwerke sicher seien. Ja, so sagt man – aber ich glaube das nicht. Kein Atomkraftwerk kann jemals sicher sein. Das sah man zuletzt an Fukushima. Andere Explosionsopfer und ich denken, dass Atomwaffen wie die Vorderseite und Atomenergie wie die Rückseite derselben Münze sind. Man kann nicht für das eine, aber gegen das andere sein. Man muss konsequenterweise beides ablehnen.

Was ist Ihr Ziel?
Seit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sind 71 Jahre vergangen. Weltweit existieren immer noch 16.000 Atomwaffen und viele Staaten wollen, dass das so bleibt. Obwohl Japan selbst Opfer der Atombombe wurde, haben wir hier trotzdem Atomenergie. Das macht keinen Sinn. Ich will, dass alle Menschen auf der Welt dafür eintreten, dass Atomwaffen und Atomenergie bald der Vergangenheit angehören, damit es in Zukunft keine Opfer mehr geben kann.

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