Europa in der Krise: "Sorry, aber ihr schaut nicht in die Zukunft“
Alle waren sich einig – die prominenten Politikerklärer wie Francis Fukuyama, Ivan Krastev, Lea Ypi und viele mehr, aber auch die Politiker wie Albaniens Staatschef Edi Rama oder der frühere US-Vizeaußenminister James O’Brien – und vermutlich auch das mehrere Hundert Menschen fassende Publikum, das am Dienstag zu einer Großveranstaltung der Erste Foundation nach Wien gekommen ist: Europa, so schallte es immer wieder von den hochrangig besetzten Diskussionsrunden zu den Zuhörern, sei überreguliert, nicht mehr wettbewerbsfähig, alt geworden, schwach – kurz gesagt: in der Krise.
Gesucht waren also Lösungen, die Experten und Politiker in drei Diskussionsrunden erarbeiten sollten. Wobei eine der klarsten Ansagen von Ebtesam Alketbi, der Leiterin eines Thinktanks in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), kam. „Europa hat zweifellos Ambition“, sagte sie, „aber es braucht Action“ – und zwar in der grünen Wirtschaft, bei der KI, der digitalen Transition und der Verteidigung – und das sofort. „Wir in den VAE, wir mit dem Öl, wir treiben den grünen Wasserstoff voran. Aber wo ist der grüne Wasserstoff in Europa? Als Russland den Krieg begann, wurde wieder Kohle hervorgeholt. Deswegen nennt man Europa auch den alten Kontinent. Sorry, aber ihr schaut nicht in die Zukunft.“
Philosophin Lea Ypi und Ex-US-Vizeaußenminister O’Brien.
Höhepunkt überschritten
Dieser Diagnose schloss sich am Dienstag auch Ex-US-Vizeaußenminister O’Brien an: Europa müsse den Kampf um die Zukunft führen. Das hieße – und zwar von jetzt auf gleich – Verteidigung stärken, die Energietransition vorantreiben, aber auch schon jetzt ein politisch fähiges Team aufbauen, das mit den USA in der Zeit nach Trump kooperieren könne. Denn auch wenn Donald Trump den Höhepunkt seiner Macht schon überschritten habe, wie der weltberühmte Politologe Francis Fukuyama („Das Ende der Geschichte“) sagte, der radikale Wandel in den USA werde sich nicht mehr zurückdrehen.
Kapitalmarktunion
Was also müsse Europa daraus lernen, fragte einer der Diskussionsleiter, Warschaus liberaler Bürgermeister Rafal Trzaskowski? Mit dem oft geforderten Bürokratieabbau und der Deregulierung sei es jedenfalls nicht getan, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig.
Das Wichtigste: Investieren – in die gemeinsame Verteidigung, in einen Innovationsschub, in die Energiewende, in einen gewaltigen Anstoß in die Wirtschaft. Und dafür wiederum, so urgierten alle anwesenden Wirtschaftsexperten, allen voran Erste-Foundation-„Hausherr“ Andreas Treichl: in die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion.
„Wir hatten im Vorjahr 27.000 Firmen-Gründungen, aber wir haben in Europa kein System, wie diese Unternehmen groß werden können. Wir müssen eine Innovationsmaschine starten“, sagt Marie-Helene Ametsreiter, (Partnerin bei Speedinvest, einem der größten Risikokapitalgeber Europas), „und dafür brauchen wir die Kapitalmarktunion.“
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