Frieden für Ukraine: Warum Europa nur hektisch hinterher stolpert
Offene Briefe zu schreiben ist ein beliebtes Mittel in der EU-Politik, um eigenen Interessen Rückenwind zu geben. Bevorzugter Adressat ist EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Schaltstelle für Entscheidungen in Brüssel: Belgiens Premierminister Bart de Wever war in der Vorwoche mit Briefeschreiben an der Reihe – und er wurde ziemlich grob. „Von Grund auf falsch“ seien die „überhasteten“ Pläne der EU-Kommission, sie würden einem Frieden für die Ukraine im Weg stehen.
Es geht um die durch EU-Sanktionen eingefrorenen Milliarden der russischen Staatsbank. Die liegen beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear und sollen als Absicherung für Kredite an die Ukraine verwendet werden. So soll der Aggressor Russland für den Krieg mit eigenem Geld geradestehen, ohne aber dass die Milliarden tatsächlich konfisziert werden, denn dagegen könnte Moskau vor internationalen Gerichten klagen.
Der belgische Premierminister nennt das eine „Robin-Hood-Aktion“, bei der am Ende Belgien draufzahlen werde. Also brauche das Land felsenfeste Garantien aller anderen EU-Länder, dass sie im Falle eines Falles brav mitzahlen würden.
Für Deutschlands Kanzler überfällig
Was De Wever für „überhastet“ hält, das ist für andere europäische Entscheidungsträger längst eine sinnlos in die Länge gezogene Debatte. Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz etwa hatte schon ein paar Tage vor dem belgischen Kollegen ein Schreiben verfasst, in dem er sich ebenfalls an Von der Leyen richtete: Man müsse jetzt handeln, sich nicht von Bedenken zurückhalten lassen und endlich eine Lösung finden, um die russischen Milliarden zu verwenden.
„Überhastet“, wie De Wever meint, ist diese Lösung auf keinen Fall. Die öffentliche Debatte läuft seit vielen Monaten. Doch während die Entscheidungsträger sich gegenseitig ihre Meinung ausrichten, läuft Europa die Zeit davon. Ein Lösungsvorschlag der EU-Kommission, der in dieser Woche mit großer Verspätung endlich auf dem Tisch liegen soll, wird für weiteren Streit und weitere Briefe sorgen. Hinter den Kulissen sehen nämlich auch andere Länder, wie etwa Österreich, den Griff nach den Milliarden als sehr riskant an.
Die Ukraine aber steht spätestens im nächsten Frühjahr vor der Staatspleite, wenn kein frisches Geld aus dem Westen kommt. Doch abgesehen von den russischen Milliarden ist in der kriselnden EU derzeit wenig zu holen.
Geldflüsse versiegt
„Bedingungslose Unterstützung“ verspricht die EU der Ukraine ständig, doch praktisch ist von dieser Unterstützung immer weniger zu merken. Die Geldflüsse an die Ukraine aus den EU-Staaten sind in den letzten Monaten versiegt. Auch bei Waffenlieferungen hinkt man den eigenen großen Worten hinterher. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij richtete das den EU-Regierungschefs bei einem der letzten EU-Gipfel persönlich und ziemlich unsanft aus: Er sei dankbar für die Hilfe aus Europa, aber ohne die USA gehe es nicht.
Immer nur reagieren
Die europäischen Entscheidungsträger reagieren auf solche unangenehmen Wahrheiten grundsätzlich mit dem gleichen Klagelied. Man sei nur eine Randfigur auf der Weltbühne, zahle zu viel und rede zu wenig mit.
Sanktionen werden von vielen unterlaufen
Doch um mitzureden, müsste man in Europa mit einer Stimme sprechen – und vor allem nach einem gemeinsamen Motto handeln. Stattdessen aber schreibt man öffentlich grobe Briefe und unterläuft im Hintergrund die eigenen groß angekündigten Prinzipien. Während die EU ein Sanktionspaket nach dem anderen schnürt, verkaufen griechische Reeder ihre ausrangierten Tanker an Russland, Frankreich bezieht von dort weiterhin Uran für seine Atomkraftwerke und Ungarn und die Slowakei ihr Öl. In Washington, Moskau und Peking weiß man also längst, was von Europas Entschlossenheit zu halten ist – und tut sich leicht, es über den Tisch zu ziehen: Mit unfairen Zollabkommen, Rohstoff-Boykott oder einfach, indem man es ignoriert, wie Wladimir Putin. „Psychologie der Schwäche“ nennt das der EU-eigene Thinktank EUISS: „Erst reagieren, dann hoffen, dann das Ganze wiederholen: Es wird Zeit, dass sich Europa von dieser gescheiterten Strategie verabschiedet.“
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