Erleichterung, es bis Albanien geschafft zu haben
30 Tage – so lange hat der Marsch gedauert, den Usman und seine beiden Freunde gerade hinter sich haben. Aus Pakistan kommen sie. Über die Berge haben sich die drei Mittzwanziger von Griechenland nach Albanien durchgeschlagen. In einer staubigen Gasse in einem Vorort von Tirana stehen sie nun in der Vormittagshitze und lächeln frisch geduscht und erleichtert nach diesem Marsch.
Hinter ihnen das Gittertor des Asylzentrums des Innenministeriums, in dem sie am Vortag untergekommen sind. Erst einmal duschen, essen, schlafen. Neue Schuhe brauche er, sagt Usman. Das Asylzentrum Babrru bei Tirana, ist die erste Station für aufgegriffene Grenzübertreter. Ein neuer Bau in einem Vorstadtdorf, abgeschirmt von Mauern und Zäunen, aber eine offene Einrichtung. Hin und wieder kommen und gehen Menschen aus dem Irak, der Türkei, Marokko oder Pakistan. Es ist eine Unterkunft für Aufgegriffene, um diesen zu ermöglichen, in Albanien Asyl zu beantragen. Aber die allerwenigsten wollen das. Usman kommentiert die Frage, ob er in Albanien bleiben werde, mit einem Kopfschütteln und macht sich auf zum Markt – wegen der neuen Schuhe, die er jetzt einmal brauche. Und wie er, verneinen alle an diesem Tag diese Frage.
Im politischen Rampenlicht
Mit den alarmierend klingenden Aussagen von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zur Albanienroute, über die Flüchtende von Griechenland nach Zentraleuropa gelangen würden, ist Tirana mit einem Schlag im politischen Rampenlicht gelandet. Auf diplomatischer Ebene jedoch und in den Reihen vieler NGOs, die in Albanien in Flüchtlingsfragen aktiv sind, ist das alles nichts Neues. In seinem Büro im Zentrum Tiranas sitzt Pablo Zapata. Der Spanier ist Chef des Flüchtlingshilfswerks der UNO in Albanien. Und auf die Entwicklungen im Land angesprochen hat er eine ganz klare Antwort: Von einem neuen Trend könne man hier nicht sprechen. Viel eher von einem, der sich seit Monaten abzeichne und den man auch im Griff habe. Fazit: „Wir sprechen nicht von einer Albanien-Route.“
Was man jedoch durchaus beobachte, sei ein Anstieg der Ankünfte und der Asylanträge: 2300 Personen wurden von Jänner bis Ende Mai 2018 an der Grenze aufgegriffen. Die Gesamtzahl der Ankünfte im Vorjahr lag bei 1049. Zapata spricht in diesem Zusammenhang jedoch von einer Entwicklung, die im November 2017 begonnen habe und mit Beginn der warmen Jahreszeit – also der Zeit, in der üblicher Weise große Anstiege verzeichnet werden – keinesfalls ein problematisches Ausmaß angenommen habe.
Mehr Frauen und Kinder
Was Zapata auch anführt, ist, dass sich die soziale Zusammensetzung der Fluchtbewegung verändert habe. Vermehrt seien es Frauen mit Kindern und zum Teil ganze Familien. Und vermehrt seien es auch Menschen, die nicht seit Jahren in Griechenland festgesessen seien, sondern Menschen, die sehr kurz dort waren und jetzt in Albanien aufgegriffen würden. Rückschlüsse will er daraus nicht ziehen. Wichtig ist ihm aber festzustellen: „Wir schlagen nicht Alarm, das ist nicht eine Entwicklung, die uns unvorbereitet trifft.“ Man arbeite an dem Thema nicht erst seit es in der Politik gelandet ist.
Gutes Zeugnis für Tirana
NGOs und UNHCR stellen den albanischen Behörden ein durchwegs gutes Zeugnis aus, was die Handhabe von Migrationsbewegungen angeht. Als durchwegs korrekt bezeichnet diese ein Diplomat. Dabei hat die Regierung vor allem ein großes politisches Interesse, mit EU-Staaten eng zu kooperieren. Tirana strebt eine Annäherung an die EU an. An der Grenze zu Griechenland etwa werden gemeinsame Patrouillen mit griechischen Grenzschützern durchgeführt. Auch ein Abkommen mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex steht nur Tage vor der Finalisierung.
Diesen Kooperationswillen scheinen auch jene zu spüren, die im Asylzentrum in Babrru ein- und ausgehen. Für sie ist Albanien vor allem eines: Ein Schritt in Richtung eines Traumes, für den sie losgezogen sind und dabei alles hinter sich ließen. Die Erleichterung ist den meisten hier in der brütenden Hitze vor dem Gittertor ins Gesicht geschrieben. Ein Albaner um die 60, der daneben wohnt, sagt lächelnd: „Wer kann es ihnen verübeln? Auch ich war ein Flüchtling, ein Fremder in einem anderen Land.“ Jahre verbrachte er in Deutschland.
Ein junger Mann, der ebenso in der Straße lebt, sagt: „Probleme? Die gibt es nicht.“ Was ihn störe, sei, dass die einst ruhige Straße, in der er lebt, heute etwas belebter sei. „Aber das wird vorübergehen“, sagt er. Albanien sei schließlich nicht das Ziel.
Usman will nach Italien. Wann er versuchen wird, mit seinen neuen Schuhen den nächsten Schritt in diese Richtung zu wagen, weiß er noch nicht. „So Gott will, bald“, sagt er. Schließlich ist er schon ein Jahr und vier Monate unterwegs.
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