Erdogan im Anflug auf eine Niederlage?
In normalen Zeiten sind die Preise für Kartoffel und Zwiebel in der Türkei kein großes Thema. Doch dies sind keine normalen Zeiten. Wenige Tage vor der Parlaments- und Präsidentenwahl am Sonntag melden die Medien einen sprunghaften Anstieg der Preise für die Grundnahrungsmittel, die teilweise doppelt so viel kosten wie noch vor einem Monat.
Die Teuerung ist eine schlechte Nachricht für Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der ohnehin schon in der Defensive ist. Der 64-jährige sucht nach Wegen, um eine drohende Niederlage abzuwenden. Dabei setzt er unter anderem auf den neuen Großflughafen in Istanbul.
Eigentlich soll der erst im Oktober eingeweiht werden, doch Erdoğan braucht sofort fernsehgerechte Jubelmeldungen. Deshalb wollte der Staatschef noch vor dem Wahltag mit seinem Jet auf der Flughafen-Baustelle nördlich von Istanbul landen: am Donnerstagabend. Mit dem Milliardenprojekt will Erdoğan die Metropole zu einem wichtigen Drehkreuz im internationalen Luftverkehr machen. Im Endausbau soll der Airport rund 150 Millionen
Passagiere pro Jahr abfertigen und damit der größte der Welt sein. Den Türken soll kurz vor der Wahl vor Augen geführt werden, was der Präsident für das Land geleistet hat.
Huldigungen
Nicht, dass diese Botschaft bisher am Wahlvolk vorbeigegangen wäre. Im Fernsehen läuft fast ständig irgendeine Erdoğan-Rede, die Städte sind vollgepflastert mit Erdoğan-Plakaten, selbst in den Halbzeitpausen der WM-Spiele werden die Zuschauer des Staatssenders TRT mit langen Werbespots des Präsidenten beglückt. „Ich werde von deinem Weg nicht abweichen“, heißt es in einem Video-Lied über den Präsidenten.
Viele Wähler tun aber genau das: Sie wenden sich von Erdoğan ab. Das angesehene Demoskopie-Institut Gezici veröffentlichte am Donnerstag eine Umfrage, nach der Erdoğan einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl klar verfehlen werde. Das würde bedeuten, dass sich der 64-jährige am 8. Juli einer Stichwahl stellen müsste. Seine Regierungspartei AKP verliert laut Gezici zudem ihre Mehrheit im Parlament. Erdoğan selbst räumte in einem Interview ein, dass die AKP möglicherweise weniger als 300 der 600 Parlamentssitze erobern könnte. In diesem Fall müsse man sich eben Koalitionspartner suchen, sagte er.
Dass die AKP und ihr Chef womöglich vor der ersten Wahlniederlage seit ihrem Machtantritt vor anderthalb Jahrzehnten stehen, hat vor allem mit der schwierigen Wirtschaftslage zu tun. Trotz hoher Wachstumsraten – jeweils 7,4 Prozent 2017 und im ersten Quartal des laufenden Jahres – müssen sich die türkischen Normalbürger mit einer drastischen Geldentwertung herumschlagen.
Hinzu kommt, dass die AKP möglicherweise strategische Fehler begangen hat. Sie stütze sich ganz auf islamisch-nationalistische Wähler und lasse die vielen jungen Konservativen in den Großstädten außer Acht, die einen modernen Lebensstil wollten, schrieb der regierungsnahe Kolumnist Abdulkadir Selvi in der Hürriyet.
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