Militärexperte: "Einsatz von Massenvernichtungswaffen leider nicht auszuschließen"

Militäranalytiker Gustav Gressel geht davon aus, dass die Russen vor einem Einsatz der chemischen Waffen nicht zurückschrecken würden.

Seit Tagen gibt es Gerüchte, die russischen Streitkräfte hätten Probleme, in der Ukraine voranzukommen. Nicht nur die US-Regierung, sondern auch einige Experten orten logistische Probleme bei russischen Einheiten. "Wir haben Hinweise darauf erhalten, dass einige Soldaten tatsächlich Erfrierungen erlitten haben und aus dem Kampf genommen wurden. Sie haben also weiterhin Probleme mit der Logistik und der Versorgung", erklärte ein hochrangiger Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums am Dienstag.

Steckt die russische Armee tatsächlich fest? "Der Zustand, in dem sie jetzt steckt, nennt man im Fachjargon eine operative Pause. Wenn man sich mit dem Angriff etwas überdehnt hat, logistische Probleme hat und sehr hohe Verluste eingesteckt hat, dann muss man sich reorganisieren, Nachschub nachfüllen und dazu lässt man die Front erst einmal ruhen", erklärte in der ORF-Sendung ZIB2 Militäranalytiker Gustav Gressel und stellte zugleich fest: "Das ist aber noch kein Wendepunkt". Russland versuche weitere Kräfte im Hinterland zu generieren. 

1. April als wichtiges Datum

Den 1. April nannte der Russland-Experte als ein wichtiges Datum. Das sei ein wichtiger Einrückungstermin, "zu dem viele Wehrpflichtige wahrscheinlich auch Vertragsverhältnisse mit der russischen Armee eingehen". Diese würden es ihnen ermöglichen, ins Ausland zu gehen, sprich in die Ukraine. "Das ist ein Datum, das Putin sicherlich im Auge hat". 

Was kann man also an diesem 1. April erwarten? Eine Großoffensive auf Kiew etwa? "Um Kiew ist die ukrainische Luftabwehr deutlich stärker als in Mariupol etwa. Mit dem 1. April kommen neue Vertragswillige, aus denen werden Verbände gebildet, die in die Ukraine verlegt werden. Die Offensive würde vermutlich Mitte oder Ende April vonstattengehen". 

Man werde sehen, welche Strategie die Russen nun verfolgen würden. Bisher sei ihr Problem auch gewesen, dass sie zu viele Städte auf einmal einnehmen wollten. Womöglich werden sie diesmal ein klares Schwergewicht an bestimmten Schauplätzen setzen, glaubt Gressel. Kiew einzunehmen dürfte dennoch ein "viel langwierigeres Unterfangen" bleiben - aufgrund der Größe der Stadt, der Lage etc. "Ich würde das mit der Blockade von Leningrad durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg vergleichen - etwa von der Größe und dem Umfang der Truppen her. Das hat damals auch lange gedauert."

Alternative

Könnte Putin versuchen, die ukrainische Bevölkerung quasi in eine Kapitulation zu bombardieren? "Das Zermürben der Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer durch Bombardieren findet bereits statt. Ganz bewusst werden in vielen Städten zivile Ziele angegriffen", sagt der Militäranalytiker, glaubt aber, dass das "wie so oft in der Geschichte nach hinten losgegangen ist". Es gebe keine Anzeichen, dass die ukrainische Verteidigungsbereitschaft am Sinken ist. "Viele Ukrainer sagen 'Erst jetzt recht'".

Ob Putin für das Erreichen seiner Ziele bereit sein könnte, seine Soldaten Massenvernichtungswaffen einsetzen zu lassen? "Das ist zu einem gewissen Grad zu befürchten. Vor allem von chemischen Waffen, denn der Nachweis, dass diese zum Einsatz gekommen sind, ist sehr schwierig. Das haben wir in Syrien gesehen", erinnert Gressel. Russland, vermutet er, würde versuchen, sein Vergehen der Ukraine in die Schuhe zu schieben. 

Was ist von der Aussage des russischen Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow, Russland würde Atomwaffen nur dann einsetzen, wenn es seine Existenz gefährdet sieht, zu halten? "Das würde bedeuten, dass die NATO aktiv in diesen Krieg eingegriffen hat. Das ist jedoch eine relativ unwahrscheinliche Situation". Putin, der im westlichen Weltbild sowieso durch ist, würde nur ein psychologisches Spiel mit den Ängsten der Menschen spielen. 

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