Ein Feind eint Kabul und die Taliban
In Afghanistan sind Allianzen nicht immer Allianzen und Rivalitäten nicht immer Rivalitäten. Es ist ein Massaker in der nördlichen Provinz Sar-e-Pul nahe der Grenze zu Turkmenistan und Usbekistan, das diese Komplexität vor Augen führt – zugleich aber möglicherweise düstere Schatten für Afghanistan sowie aber die gesamte Region vorauswirft.
Da hatten Extremisten zwei Tage ein Dorf belagert, es schließlich gestürmt und 50 Menschen, die allermeisten davon Zivilisten, massakriert. Das Markante daran: Involviert waren Einheiten von zwei bekannten Feldkommandanten. Einer gilt als Taliban, der andere hatte dem IS Treue geschworen. Es war – auf den ersten Blick – also die erste gemeinsame Aktion dieser Gruppen. Bisher hatten sie sich bekämpft. War es die Einzelaktion von zwei Kommandanten? Oder war es eine Kooperation?
Die Taliban wiesen das zurück und bezeichneten den IS-Mann als einen der Ihren – glaubhaft ist das allerdings nicht. Denn zwar gaben sie an, das Dorf eingenommen zu haben, wiesen zugleich aber die Verantwortung für das Massaker zurück.
Klar ist: Vor allem im Norden Afghanistans haben die Taliban massive Probleme. Nicht, weil die afghanische Armee dort so stark wäre – viel eher, weil es starke Konkurrenz im radikalen Lager gibt und eben auch lokale Kommandanten nicht immer im Sinne des Taliban-Kommandos handeln.
Eines hat sich jedenfalls gezeigt: Die paschtunisch, ultrakonservativ und nationalistisch geprägten Taliban, die durch interne ideologische Machtkämpfe geschwächt sind, haben im tadschikisch, turkmenisch wie usbekisch dominierten Norden das Nachsehen. Ihre Versuche, von der paschtunischen Prägung wegzukommen, verliefen im Sand – sehr oft zum Beispiel, weil paschtunische Taliban im Norden sich weigerten, unter einem usbekischen Kommandanten zu kämpfen, zugleich aber Usbeken oder Tadschiken sich kaum rekrutieren lassen.
Machtkampf
Dieser Machtkampf im radikalen Lager hat bisher der Regierung in die Hände gespielt, die in fast allen Landesteilen in Bedrängnis ist. Die schlechte Nachricht für Kabul: Das Rennen im Norden scheinen Gruppen zu machen, die sich dem internationalen Dschihad und sehr oft dem IS verschrieben haben.
Das alarmiert die gesamte Region. Denn anders als die Taliban, die eine auf Afghanistan fokussierte Agenda verfolgen, haben diese Gruppen Visionen über die Grenzen Afghanistans hinaus. Etwa die Islamische Bewegung Usbekistans, die sich dem IS angeschlossen hat. Solche Gruppen sehen Afghanistan als Basis. Sie haben aber auch Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan als Angriffsziel im Visier. Diese Länder bieten aufgrund ihrer ökonomischen wie politischen Lage einen perfekten Nährboden für radikale Gruppen.
Das stellt Kabul vor riesige Probleme. Denn zumindest mit Teilen der Taliban gibt es auf Basis der afghanischen Stammesgepflogenheiten eine, wenn auch minimale, aber doch vorhandene Gesprächsebene. Zudem hat Kabul, was die Taliban angeht, einen Angriffshebel über Stammesältere und deren Einfluss. Mit Gruppen, die dem IS die Treue geschworen haben und die lokale Gepflogenheiten außen vor lassen, ist eine Einigung über solche Wege außer Reichweite.
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