"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"

"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"
EU-Parlamentarier Ehrenhauser zog aus, um vor dem Kanzleramt gegen das Hypo-Desaster zu demonstrieren. Ein Lokalaugenschein.

Neben dem Zaun zum Volksgarten schläft ein Mann seelenruhig auf seiner Pritsche. „Neben ihm ist schon der Traktor vorbeigerattert, der schläft wie ein Stein“, sagt Clemens Brandstetter. Der blond gelockte Aktivist - und auch der Schlafende - verfolgen beide ein Anliegen: Sie unterstützen Martin Ehrenhauser, jenen EU-Parlamentarier, der auszog, um gegen das Hypo-Debakel zu demonstrieren.

Am Sonntag hatte der streitbare Parlamentarier kurzerhand die ORF-Pressestunde verlassen, um auf dem Ballhausplatz Quartier zu beziehen. „Das war eine schnell geplante Aktion“, sagt der „Europa anders“-Mandatar, während er ein Pappschild mit der Aufschrift „Hypohaftungsboykott“ vor sich hält. Kurz nach der Vorstellungsrunde war er aufgestanden und hatte das Studio verlassen; sehr zum Erstaunen der restlichen Diskutanten. "Neben der Materialschlacht, die die Großparteien veranstalten, bleibt einer Kleinstpartei wenig anderes übrig. Da muss man aktionistisch und kreativ werden“, sagt er.

Gitarren, Tee und die Hypo

"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"
Der Boykott hat gefruchtet. Die Zahl der Medienvertreter auf dem Ballhausplatz hält sich etwa die Waage mit jenen, die den EU-Parlamentarier unterstützen. Die Aktivisten sitzen dort mit Gitarren, selbstgebastelten Transparenten und heißem Tee. Der einstige Hans-Peter-Martin-Mandatar, der inzwischen die Fronten gewechselt hat und für ein linksgerichtetes Bündnis aus Piraten, KPÖ und sich selbst ins Rennen geht, will jene Stimmung auffangen, die derzeit allgegenwärtig spürbar ist: der Frust über die Hypo, die versenkten Milliarden und die politische Untätigkeit. Sein Motto: „Wir zahlen nicht für deren Krise.“

Deren Krise, das ist jene der Kärntner Landesbank. Also etwas, das nicht viel mit dem EU-Parlament in Brüssel zu tun hat - oder? „Das stimmt ganz fundamental nicht“, meint Ehrenhauser. „Die Hypo ist ein Symbol für ein Thema, das europaweit beschäftigt.“ Schlagworte wie verfehlte Austeritätspolitik, Schieflage im Finanzsystem und ungerechte Vermögensverteilung fallen; man müsse sich die Frage stellen, ob man wirklich beim Sozialstaat sparen wolle, um spekulierenden Banken wieder auf die Beine zu helfen. „Diese Bankenrettung ist ein Verbrechen“, sagt Ehrenhauser.

Vom Haftungsboykott zur Volksabstimmung

"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"
APA17910742-2 - 13042014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 122 II - Martin Ehrenhauser (Europa anders) am Sonntag, 13. April 2014, anl. einer Protestaktion gegen die Bankenhilfe vor dem Bundeskanzleramt in Wien. Ehrenhauser hatte zuvor eine Diskussionsrunde zur EU-Wahl im ORF nach knapp sieben Minuten Sendezeit überraschend verlassen. APA-FOTO: EXPA/MICHAEL GRUBER
„Haftungsboykott“ ist die Antwort, die er sich deshalb auf die Fahnen geschrieben hat. Wie er sich das exakt vorstellt, kann der 35-Jährige aber nur bedingt erklären. „Wir brauchen ein Finanzsystem, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt“, sagt er ganz pauschal. „Wir müssen ein Zeichen setzen, wir müssen das System reformieren. Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen. Was wir brauchen, ist eine Volksabstimmung zur Hypo.“

Das würde er auch dem Kanzler sagen, wenn er denn mal vorbeikäme. Die Chance, dass das passiert, ist gar nicht so klein – denn aufgeben will Ehrenhauser noch länger nicht. Wie lange seine Mitstreiter ihm dabei zur Seite stehen, wird sich weisen. Immerhin, die erste Nacht sei geschafft, dank der vielen helfenden Hände, „sogar eine Pizza hat jemand vorbeigebracht.“

"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"
APA17919996 - 14042014 - WIEN - ÖSTERREICH: Ein Feldbett in einem Lager mit Aktivisten aus dem Umfeld der Wahlplattform "Europa anders" vor dem Bundeskanzleramt in Wien am Montag, 14. April 2014. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Der Rest der Demonstranten richtet es sich einstweilen auch gemütlich ein, gegenüber vom Kanzleramt. Die Polizisten vor dem Amtssitz des Bundeskanzlers beäugen die knapp zehn Mann halb kritisch, halb schmunzelnd. „Die wissen ja auch, dass sie für die Hypo zahlen müssen“, sagt Aktivist Clemens Brandstetter grinsend. Er will jedenfalls morgen zurück nach Linz, Plakatständer für „Europa anders“ aufstellen. Der Mann auf der Pritsche ist währenddessen immer noch nicht aufgewacht.

Er hat beschlossen, sich hinzulegen. Aus Protest, weil sich die Leute das alles nicht mehr gefallen lassen sollen, sagt Martin Ehrenhauser. Am Sonntag stand der EU-Mandatar sieben Minuten nach Beginn der ORF-Pressestunde auf, ging aus dem Studio – und campiert seither vorm Bundeskanzleramt. Wer ist der Mann, der mit Schlafsack und Pappschild einen "Hypo-Haftungsboykott" fordert?

Für Hans-Peter Martin war der 35-Jährige "der kleine Martin" und blieb zeitlebens Assistent – im besten Fall. 2009 nach der EU-Wahl stieg Ehrenhauser auf, wurde als wichtigster Mitarbeiter zum EU-Abgeordneten geadelt. Doch ab 2011 war er wieder Paria – Ehrenhauser hatte sich an der Intransparenz der Parteifinanzen der Liste Martin gestoßen. Der gebürtige Linzer war einst bei den Liberalen, dann im ÖVP-Dunstkreis und heuerte schließlich bei Hans Peter Martin an. Jetzt will er mit dem KPÖ-Wahlbündnis "Europa anders" für fünf Jahre wieder rein ins EU-Parlament. In Ermangelung eigener Bekanntheit bettelte er mit dem inszenierten Abgang im ORF und dem Sleep-in vorm Kanzleramt um Schlagzeilen – und wurde vom Boulevard belohnt.

Brüssel-Kenner beschreiben Ehrenhauser als leicht verschroben und "halben Politiker", der seine Rolle nie gefunden habe. Aber zumindest Unterstand fand er. Auf dem Ballhausplatz ging gestern ein Platzregen nieder, also flüchtete er unter das Dach der Hofburg. In den Trakt mit dem Sisi-Museum.

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