USA

Das bedrückende Tagebuch eines Guantanamo-Häftlings

Camp VI in Guantanamo Bay - ein Ort des Grauens.
Mohamedou Ould Slahi schildert in Buch Endlos-Verhöre und Nächte im "Gefrier-Raum". Er ist noch immer in Haft.

Am zweiten oder dritten Tag nach seiner Ankunft in Guantanamo kollabierte Mohamedou Ould Slahi in seiner Zelle. "Dauernd musste ich mich übergeben und war deshalb völlig dehydriert", schreibt der Mann mit der Häftlingsnummer 760.

Der Mauretanier war bereits über neun Monate erst in Jordanien und dann am US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan verhört worden, bevor er gefesselt, gewindelt und betäubt wurde und mit einer Kapuze über dem Kopf in das berüchtigte Gefangenencamp auf Kuba geflogen wurde. Am Dienstag sind seine Aufzeichnungen von dort als Buch erschienen. Der 44-Jährige, der in Duisburg Elektrotechnik studiert und lange in Deutschland gelebt hatte, sitzt bis heute in derselben Zelle, in der er sein Tagebuch verfasst hat.

Kampf um Freigabe

Das bedrückende Tagebuch eines Guantanamo-Häftlings
epa04570758 Guantanamo detainee Mohamedou Ould Slahi's brother, Yahdih Ould Slahi, shows his brother's book following a Guantanamo Diary press conference in London, Britain, 20 January 2015. Slahi's book which documents his 12 years as a detainee at Guantanamo Bay is published by Canongate goes on sale 20 January. Slahi remains in captivity. EPA/ANDY RAIN
Allein das juristische Gezerre um Slahis "Guantanamo-Tagebuch" zeigt, wie brisant das 466 Seiten zählende, handgeschriebene Manuskript ist. Mehr als sechs Jahre kämpften seine Verteidiger für die redigierte Freigabe unter den strengen Protokollen des US-Militärs. Es wurde an einem sicheren Ort nahe Washington gelagert und war nur denjenigen mit vollen Sicherheitsbefugnissen zugänglich.

Herausgekommen ist ein detaillierter und nüchterner Einblick in eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des amerikanischen Militärs. Erst vergangenen Monat schilderte ein Senatsbericht die CIA-Verhörmethoden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als weit brutaler als bisher bekannt. Slahis Schilderung reihen sich in das verstörende Bild ein und zeichnen die Folterkammer Guantanamo als ein Gruselkabinett. Mit Schlafentzug, Endlos-Verhören, Verlegung in eine Kältekammer mit rund zehn Grad Celsius, durch Schläge, Beleidigung und Demütigung soll er eingeschüchtert, gedemütigt, zermürbt und so zum Geständnis gezwungen werden.

"Verbindet dem Motherfucker die Augen"

"Plötzlich brach ein Kommandoteam, bestehend aus drei Soldaten und einem Schäferhund, in unseren Vernehmungsraum ein", schreibt Slahi. Zwei komplett Vermummte hätten ihm brutal ins Gesicht und in die Rippen geschlagen. "Verbindet dem Motherfucker die Augen, wenn er sich umschaut", habe einer gerufen, dann habe ihm jemand kräftig ins Gesicht geboxt und ihm dann die Augen verdeckt, Ohren gestopft, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und ihn gefesselt.

"Ich sagte kein Wort, ich war von der Überraschung total überwältigt und überzeugt, dass sie mich jetzt gleich hinrichten würden", schreibt Slahi. Er sei nach draußen geschleift und in einen Truck geworfen worden, dann folgte eine Bootsfahrt durch die Karibik, auf der die Tortur weiterging. "Der Schlägertrupp machte noch drei oder vier Stunden weiter, dann übergaben sie mich an ein anderes Team, das mit anderen Foltermethoden arbeitete." Dann musste er Salzwasser trinken, später wurde seine Kleidung von Hals bis zu den Knöcheln mit Eiswürfeln gefüllt, um ihn zu quälen und zugleich Prügelspuren von zuvor zu beseitigen.

Rumsfelds Befehl

Das Sturmkommando handelte auf Beschluss von ganz oben: Donald Rumsfeld, Verteidigungsminister unter dem ehemaligen Präsident George W. Bush, war mit der Akte vertraut und ordnete an, den Druck auf den mutmaßlichen Al-Kaida-Verschwörer mit intensiven Verhören zu erhöhen. Ein Jahr sei er an einem geheimen Ort von "Camp Echo" festgehalten worden, und selbst Vertretern des Roten Kreuzes, die sonst Zugang zu Guantanamo-Insassen haben und für bessere Haftbedingungen kämpfen, wurde der Zutritt "aus militärischer Notwendigkeit" verwehrt.

"Zeigt ihm keine Gnade. Erhöht den Druck. Treibt ihn zum Wahnsinn", zitiert Slahi einen Aufseher. Er selbst habe in der Haft seine eigenen Strategien entwickelt: "Ich gab mich immer ängstlicher, als ich in Wirklichkeit war." Denn sonst hätte man ihn noch schlimmer behandelt. Immer wieder habe er an seine Familie gedacht. Nach Jahren der Isolation habe er erstmals wieder Kontakt zu ihnen aufnehmen dürfen.

Von Haft aus der Zeitung erfahren

"Er weiß, dass er unschuldig ist, deswegen hat er durchgehalten", ist sein Bruder Yahdih Ould Slahi überzeugt. "Wenn ich über alles sprechen würde, was meine Familie erlitten hat, würden wir hier bis morgen sitzen", sagt er anlässlich der Buchvorstellung in London. Yahdih Ould Slahi, der in Düsseldorf lebt, hat aus dem Spiegel erfahren, dass sein Bruder in Guantanamo ist. Erst wollte die Familie in Mauretanien ihm gar nicht glauben. Dann kam der erste Brief aus dem Gefängnis. Das Buch sei die letzte Rettung für die Familie, sie seien stolz auf den Bruder. "Unsere Kinder und Frauen haben aufgehört zu weinen."

Der Wahrheitsgehalt von Mohamedou Ould Slahis Bericht lässt sich nicht überprüfen, klingt mit Blick auf Details aus dem CIA-Bericht und anderen Berichten aus "Gitmo" aber authentisch. Der Verdacht, er sei in die Planung eines Anschlags auf den Flughafen in Los Angeles oder vom 11. September 2001 in New York verwickelt gewesen, hat sich nicht bestätigt. Bis heute, nach mehr als 13 Jahren Haft, ist Slahi keines Verbrechens angeklagt worden.

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