Drohnen über Polen: Eine Warnung Putins, vielleicht auch mehr

Wer Mittwochfrüh in Ostpolen auf sein Handy schaute, zuckte wohl zusammen: Der Katastrophenschutz warnte per Massen-SMS alle Bewohner, sich ja keinen niedergegangenen Flugobjekten zu nähern – sie seien nach der „Neutralisierung von Objekten, die die Staatsgrenzen verletzten“, dort gelandet.
Dass es russische Drohnen waren, die da über Polen herumschwirrten, fügte die polnische Regierung hinzu: Mitten in der Nacht informierten von Premier Donald Tusk abwärts alle Offiziellen darüber, dass mindestens 19 Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen waren; sieben wurden von der polnischen Armee mit NATO-Hilfe vom Himmel geholt. Das ist ein präzedenzloser Vorfall: Tusk sprach von einer „noch nie da gewesenen Provokation“ und einer „Konfrontation, die Russland der ganzen Welt erklärt hat“.
Was steckt hinter dem Vorfall? Und welche Folgen wird er haben?
Was genau ist in Polen geschehen?
In der Nacht attackierte Russland – wie seit mehreren Wochen ständig – die Ukraine massiv mit Drohnen und Raketen. Mindestens 19 der Drohnen flogen aber nach Polen weiter. Warschau ließ darum in Absprache mit der NATO polnische, niederländische und italienische Kampfjets starten. Vier Flughäfen wurden geschlossen, darunter auch der internationale in Warschau. Verletzt wurde bei dem Vorfall niemand, nur ein Haus in der Region Lublin wurde beschädigt.

Was macht den Vorfall so gefährlich?
Es ist nicht das erste Mal, dass russische Drohnen in NATO-Luftraum eindrangen. In Ostdeutschland werden regelmäßig russische Spionagedrohnen beobachtet, die NATO-Stützpunkte und Waffenlieferungen in die Ukraine ausspähen; auch in Polen haben sich bereits mehrere Zwischenfälle ereignet. 2022 kamen im Südosten zwei Männer durch eine fehlgeleitete Rakete ums Leben, einige Monate später schlug nordwestlich Warschaus eine russische Rakete ein. Auch im August dieses Jahres explodierte in einem Maisfeld in Lublin ein Flugobjekt. Allerdings war die Zahl der Drohnen noch nie so hoch – und es wurden noch nie Kampfjets zum Abschuss eingesetzt.
Was ist Putins Kalkül? Legt er es auf einen Krieg mit der NATO an?
Russland hat jegliche Verantwortung für die Drohnen abgestritten. In den Staatsmedien war stundenlang nur schwammig vom „Vorfall in Polen“ die Rede, später teilte das Verteidigungsministerium mit, dass man keine Angriffe auf Polen geplant habe, russische Drohnen auch eine Reichweite von 700 Kilometern nicht überschreiten könnten.
Das ist klassisches Katz-und-Maus-Spiel, das der Kreml betreibt. Zum einen können die iranischen Shahed-Drohnen, die Russland einsetzt, je nach Bauart mehr als 2.000 Kilometer weit fliegen; zudem wurde ihre Flugbahn von der ukrainischen Luftraumüberwachung aufgezeichnet. Auch die russische Beschriftung der Drohnen belegt die Urheberschaft.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach Putins Kalkül. Für den britischen Politologen Mark Galeotti ist klar, dass Moskau es nicht auf einen konventionellen Krieg mit der NATO anlegt. Aber der Abschuss sei ein „ein Test – und eine Warnung“, sagt er in einer Online-Analyse: Russland wolle austesten, wie der Westen auf die Attacke reagiere, wie geeint die NATO sei. Und es warne jene Staaten, die Truppen in die Ukraine zur Absicherung eines Waffenstillstandes entsenden wollen.
Wie hat die NATO reagiert?
Polen hat den NATO-Artikel 4 ausgerufen, der als Vorstufe für die Artikel-5-Beistandsklausel gilt – man berät sich, wenn ein Mitglied sich bedroht fühlt. Das geschah zuletzt 2022 nach Putins Invasion und soll als Zeichen der Einigkeit dienen, wie auch die Wortspenden aus allen Hauptstädten, die Polen den Rücken stärken. Das wichtigste NATO-Mitglied USA, das auch 10.000 Mann in Polen stationiert hat, hat das Ganze bisher aber nicht kommentiert: Trumps Schweigen spricht eine eindeutige Sprache.
Dazu kommt, dass der Vorfall die Löcher in der Abwehrbereitschaft der NATO aufgezeigt hat. Zwar funktionierte die Kooperation zwischen polnischem Generalstab und der NATO, aber dass nicht alle Drohnen erwischt wurden, lässt bei polnischen Beobachtern die Alarmglocken schrillen. Für die Abwehr brauche es eigentlich keine Kampfjets, dafür reiche eine Bodenabwehr aus – doch die sei „de facto unbrauchbar“, schreibt das konservative Blatt Rzeczpospolita. Dem Verteidigungsminister wird vorgeworfen, die Modernisierung der Drohnenabwehr verschlafen zu haben.
Das trifft auch auf andere NATO-Staaten zu. Russland produziert derzeit täglich bis zu 170 Drohnen nach Shahed-Bauart, teils schickt es 800 zeitgleich Richtung Ukraine. Die NATO wäre damit überfordert – kein NATO-Land hat Flugabwehrsysteme, die auf Drohnen zugeschnitten sind, und der stetige Kampfjet-Einsatz wäre viel zu teuer.
Werden sich solche Attacken häufen?
Das ist zu befürchten. Am Freitag startet in Polens Nachbarland Belarus die Großübung „Zapad 2025“ („Westen 2025“), an der 42.000 russische und belarussische Soldaten den Krieg mit der NATO üben. Dass Putins Drohnen kurz vor Beginn der Übung nach Polen flogen, dürfte daher kein Zufall sein.
Solche Großmanöver führt Russland zwar seit Jahrzehnten durch. Doch im Baltikum und in Polen fürchtet man, dass dabei auch Truppen verschoben werden: 2021 diente das Manöver dazu, schwere Waffen und Logistik nach Belarus zu verlegen – Kapazitäten, die 2022 dann bei der Invasion der Ukraine eingesetzt wurden.
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