Feldzug gegen die Hauptstadt: Wie Trumps Massenentlassungen Washington verändern

Die Einfahrt vor dem Harry S. Truman Building wird normalerweise streng bewacht. Sicherheitsleute verscheuchen hier sofort jeden Besucher, der keinen Termin im US-Außenministerium nachweisen kann. An diesem brütend heißen Sommertag sind aber auch sie machtlos.
Es ist der 11. Juli, hunderte Ministeriumsmitarbeiter haben sich auf dem Gehsteig und in der Eingangshalle aufgestellt, um ihre Kollegen gebührend zu verabschieden. Die Zeremonie dauert Stunden: Rund 1.000 Beamte und 300 Diplomaten verlassen nach und nach das Gebäude, sie tragen vollbepackte Kartons, Rucksäcke und Taschen, für jeden Einzelnen gibt es Applaus. Manche nehmen es mit Fassung, winken der Menge zu. Einigen kommen die Tränen.

Mitarbeiter des US-Außenministeriums verabschieden sich emotional von ihren gekündigten Kolleginnen und Kollegen.
Die Szene ging um die Welt, zeigt sie doch die jüngste Welle einer beispiellosen Flut an Entlassungen, die US-Präsident Donald Trump schon vor seiner Amtsübernahme am 20. Jänner versprochen hatte und die seither fast jedes Ministerium, jede Behörde der US-Regierung erreicht.
Von der Auslandshilfeagentur USAID über das Bildungs-, Verteidigungs- und Innenministerium bis hin zur Nationalparkbehörde: In nur sechs Monaten verloren mehr als 128.000 US-Beamte ihren Job.

Gekündigte Mitarbeiter verlassen das US-Außenministerium in Washington. Ihre Kollegen stehen Spalier.
Linda ist eine von ihnen: Eine junge Frau Ende zwanzig, mit schwarzen Haaren und breitem Lächeln. Eigentlich heißt sie anders, möchte aber anhand ihrer Geschichte nicht erkannt werden. Als Linda dem KURIER in einem Café nahe dem Kapitol vom Tag ihrer Kündigung erzählt, muss sie immer wieder innehalten.
Vor gut einem Jahr hatte sie sich den Traum erfüllt, für die US-Regierung zu arbeiten – als politische Referentin im Handelsministerium. „Ich konnte direkt Verantwortung übernehmen“, sagt sie. „Ich wurde noch nie so sehr gefördert.“
Ein Viertel der Einwohner Washingtons arbeitete für die Regierung
Dann kam Trump an die Macht – und schuf die „Behörde für Regierungseffizienz“ (DOGE) für seinen Milliardärsfreund Elon Musk. Der kündigte Anfang Februar an, alle Beamten in Probezeit entlassen zu wollen; also auch all jene, die kürzlich befördert worden waren.
All das ist auch ein politischer Feldzug gegen die Hauptstadt Washington. Hier, wo die breiten Boulevards von Verwaltungs- und Gerichtsgebäuden gesäumt und Krawatten bei Terminen noch Pflicht sind, war vor Kurzem noch mehr als ein Viertel der Einwohner bei der Bundesregierung angestellt.
Hier, im politischen Herzen der USA, haben die abstrakten Zahlen Gesichter, Familien, Leben.
„Ich hatte 30 Minuten, um das Gebäude zu verlassen"
Wie Linda, deren Karriereplan sich am 26. Februar in Luft auflöste. Als sie an jenem Morgen ins Büro kam, blickte ihr Chef überrascht vom Schreibtisch auf und sagte: „Oh, du bist ja noch da.“ Die höheren Vorgesetzten hatten am Vorabend bereits etliche junge Kollegen via E-Mail gekündigt.
Dann, gegen 11 Uhr, wurde Linda ins Büro der stellvertretenden Ministerin gerufen. „Sie gab mir ein Blatt Papier in die Hand und las von einem Skript ab. Ich glaube, sie hat das den ganzen Morgen über gemacht“, erinnert sie sich. „Dann sagte sie: ,Sie haben bis Mittag, um das Gebäude zu verlassen.’ Da war es gerade 11.30 Uhr.“
Also packte Linda ihre Sachen und begann, sich zu verabschieden. „Mein Chef weinte. Als ich ihn sah, fing ich auch an zu weinen. Es war einfach so ... eiskalt.“ Doch alleine durfte Linda das Gebäude nicht verlassen, sie musste vom Sicherheitspersonal hinausbegleitet werden. „Ich glaube, es war das Ziel der Regierung, uns einzuschüchtern“, sagt sie. „Und es hat funktioniert. Ich habe mich wie eine Kriminelle gefühlt.“

Trumps Slogan für die Massenentlassungen in Washington: "Drain the swamp" - "legt den Sumpf trocken".
Unter dem Motto „drain the swamp“ („Legt den Sumpf trocken“) hatte Trump seinen Großangriff auf Washington schon im Wahlkampf angekündigt. Der stetig wachsende Verwaltungsapparat der Hauptstadt steht für alles, was dem Präsidenten und seiner MAGA-Bewegung zuwider ist, zieht er doch seit Jahrzehnten die Elite des Landes an: Nirgendwo in den USA ist das durchschnittliche Einkommen und Bildungsniveau höher.
Das bedeutet auch: Bei Wahlen gehen hier regelmäßig mehr als 90 Prozent der Stimmen an die Demokraten.
Selbst die Stadtregierung geriet unter Beschuss
Auch die Wirtschaft der Stadt leidet unter den Entlassungen. Viele, die gekündigt werden, ziehen weg; auf Mietportalen sind auffällig viele Wohnungen in zentraler Lage verfügbar. Die Preise bleiben hoch: Für eine Einzimmerwohnung werden zwischen 3.000 und 4.000 Dollar monatlich fällig. In normalerweise ausgebuchten Bars und Restaurants sind abends plötzlich Tische verfügbar. Insgesamt, so rechnet die Stadtverwaltung vor, dürfte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um rund 340 Millionen Dollar schrumpfen.

Keine Freunde: US-Präsident Donald Trump und Washingtons demokratische Bürgermeisterin Muriel Bowser.
Sogar die Stadtregierung selbst geriet ins Visier: Die Hauptstadtregion, der District of Columbia (D.C.), ist kein eigener Bundesstaat, sondern als sogenanntes Bundesgebiet direkt dem Kongress unterstellt. Die Abgeordneten in Senat und Repräsentantenhaus müssen also jedes Jahr das Stadtbudget beschließen.
In diesem Jahr haben sie es erstmals nicht erhöht. Das heißt: Die Stadt Washington leidet unter massiven Geldproblemen, musste bereits Tausende Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter und Busfahrer entlassen – obwohl sie eigentlich genug Steuern eingetrieben hat, um deren Gehälter zu zahlen. Doch das Geld ist eingefroren, solange der Kongress es nicht frei gibt.
Trotzdem veranstaltet das Rathaus monatliche Jobmessen, um entlassene Beamte anzuheuern; ebenso wie die Regierungen der benachbarten Bundesstaaten Maryland und Virginia. Auch Linda begab sich sofort wieder auf Jobsuche: „Aber es war ein extrem umkämpfter Markt, schließlich wurden Tausende andere gekündigt, die auch Regierungsarbeit vorweisen konnten.“
Entlassene Beamte wurden weiter bezahlt
Wie die meisten entlassenen Beamten wurde Linda im April plötzlich wiedereingestellt – ein Richter hatte entschieden, dass die Kündigungen rechtswidrig waren. Doch das Ministerium nahm sie nicht zurück, stellte sie stattdessen zu vollen Bezügen frei.
Bisher, das zeigen die Wirtschaftsdaten, sparte die US-Regierung beim Trockenlegen des „Sumpfes“ keinen einzigen Dollar ein. Wahrscheinlich geht es aber ohnehin darum, ein Signal zu senden. Bei Linda kam es jedenfalls an. Sie arbeitet inzwischen für eine Unternehmensberatung, verdient wieder gutes Geld.
Eine Rückkehr in den Staatsdienst kann sie sich vorerst nicht mehr vorstellen – „Höchstens unter einem Präsidenten, der unseren Rechtsstaat respektiert.“
Kommentare