Verschleppte ukrainische Kinder: Den Haag bereitet Strafverfahren vor

Im Waisenhaus der ukrainischen Stadt Cherson herrscht Stille. 48 Kinder lebten hier – alle 48, das Jüngste nicht einmal ein Jahr alt, sind verschwunden. Ende Oktober waren mehrere Männer ins Heim in der damals noch russisch besetzten Stadt gekommen, setzten die Kinder in Busse und fuhren nach Russland. Über den weiteren Verbleib der 48 Kinder ist nichts bekannt.
Am Freitag hat die ukrainische Staatsanwaltschaft erste Anklage in diesem Fall erhoben: Kinder aus ihrer Heimat zu deportieren, gilt als Kriegsverbrechen. Drei Männer, darunter ein russischer Politiker und zwei ukrainische Kollaborateure, stehen unter Verdacht. Die Verschleppung ukrainischer Kinder zählt zu den grausamsten Verbrechen dieses Krieges – und sie geschieht massenhaft.
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Nach russischen Angaben sind an die 700.000 Kinder aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine auf russisches Territorium gebracht worden – zu deren eigener Sicherheit. Das behauptete Grigori Karasin, Vorsitzender des internationalen Ausschusses des russischen Föderationsrates, auf Telegram.
Die Ukraine hält dem entgegen: Knapp 19.500 Kinder seien gegen ihren Willen nach Russland deportiert worden. Bei vielen von ihnen verliert sich jede Spur. Seit Kriegsbeginn konnten nur 124 ukrainische Kinder wieder in ihre Heimat zurückgeholt werden.
Haftbefehl gegen Putin
Bereits im März hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag deswegen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Ihm wird vorgeworfen, er sei für die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland persönlich verantwortlich.
Weit mehr als tausend Seiten Ermittlungsergebnisse hat die ukrainische Staatsanwaltschaft mittlerweile an Den Haag übergeben. In der niederländischen Stadt laufen ab sofort alle Fäden zusammen, im neuen Internationalen Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine. Sichtlich zufrieden sprach der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin gestern bei der Eröffnung des Zentrums von einem "Signal, dass die Welt geeint ist, das russische Regime für alle seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen".
Putin soll für "Aggression" anbelangt werden
Staatsanwälte aus der Ukraine, der EU, dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und den USA arbeiten hier zusammen. Sie bereiten die Analyse aller Beweismittel gegen Russland für die Strafverfolgung vor. Bemerkenswert ist dabei, dass die USA kooperieren – den Internationalen Strafgerichtshof an sich erkennt Washington bekanntlich nicht an. So soll verhindert werden, dass sich jemals amerikanische Soldaten vor dem IStGH für Verbrechen verantworten müssen.
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Im neuen Zentrum von Den Haag werden nun nicht nur Beweise für die schwersten Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massenvergewaltigungen und Kriegsverbrechen gesammelt. Ziel ist es auch, Kremlherrn Putin für "Aggression" zu belangen – also für den Angriff eines Landes auf ein anderes. Dabei geht es darum, den oder die Verantwortlichen für die Planung und Durchführung des Krieges vor Gericht zu stellen und zu bestrafen.
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