Die Wutbürger an der Macht

Die Wutbürger an der Macht
Wie und warum der Populismus im Land am Stiefel auf die Spitze getrieben wurde

Italiens Politiker haben den weltweit grassierenden National-Populismus auf die Spitze getrieben. Die EU ist erschüttert, die Visionen Emmanuel Macrons zur Rettung der Union bleiben Makulatur.

In nur zwei Jahren haben national-populistische, EU-feindliche und teils rechtsradikal-xenophobe Kräfte bei  elf Urnengängen gesiegt oder bedeutenden Zuwachs erhalten: Vom Brexit über Trump, Le Pen und Geert Wilders zur AFD und FPÖ, Tschechiens Babis und Zeman, Viktor Orbán und schließlich Italien. Dort hat dieser Trend früher und radikaler um sich gegriffen als in anderen Ländern.

Anti-System-Parteien

Vor 30 Jahren schlossen sich autonomistische Vereine von Ligurien bis nach Triest zur „Lega Nord“ zusammen. Ihr vulgär-autokratischer Gründer Umberto Bossi erklärte die wirtschaftsstarken Regionen der Po-Ebene zur Nation und definierte die „padanische Identität“ in Abgrenzung zum Süden. Die Norditaliener würden arbeitsam und rechtschaffen den Reichtum des Landes erwirtschaften, der Süden sei korrupt, Rom eine Diebin, die Süditaliener arbeitsscheu und nur auf Staatshilfen aus. Deshalb forderte die Lega Nord Autonomie, Selbstverwaltung und weniger Steuern. Gesundheitlich geschwächt und wegen Unterschlagung von Parteigeldern musste Bossi 2013 dem jungen und kämpferischen Matteo Salvini Platz machen.

Es folgte der Weg vom Regionalismus zum Le-Penismus. Anstelle des „Padanien-Patriotismus“ rief Salvini „Prima gli italiani“ (Italiener zuerst) zur neuen Linie aus, das „Nord“ im Parteinamen wurde gestrichen. Hauptfeinde sind nicht mehr die Süditaliener, sondern Migranten, die Eliten und die EU. Als Vorbild und enge Freundin nennt Salvini Marine Le Pen, als Gesinnungsgenossen im Kampf um den Erhalt der Nationen Orbán und Putin.

Fünf-Sterne-Bewegung

Am Anfang der Fünf Sterne standen lokale Bürgerbewegungen. Es ging um Umwelt, Kampf gegen Korruption und Privilegien der Politiker-Kaste und Eliten. Zu ihrem „Megaphon“ wurde der TV-Komiker Beppe Grillo. Er organisierte landesweit Proteste unter dem Motto „vaffanculo“ (leck’ mich am Arsch). Ideologischen Gehalt brachte Grillos verstorbener Freund und Inspirator Giuseppe Casaleggio ein. Der IT-Unternehmer und Marketingexperte schuf die Bewegung ohne analoge Strukturen. Keine Parteilokale, keine herkömmliche Organisation – alles findet im Internet statt. Der offizielle M5S-Blog mit seinen rund 120.000 zertifizierten Aktivisten entscheidet formal über alles per Mausklick: Programm, Wahllisten, Kandidaten oder Regierungsbeteiligung. Nach Wahlerfolgen auf lokaler Ebene erzielte die Fünf-Sterne-Bewegung bei den Parlamentswahlen 2013 als zweitstärkste Kraft mit 25 Prozent den Durchbruch. Am 4. März wurden sie mit 32 Prozent stärkste Partei im Land.

Geburt des Populismus

In Italien hat der Niedergang der traditionellen Parteien schon vor 25 Jahren stattgefunden. Ein couragierter Pool aus Staatsanwälten und Richtern hatte im Kampf gegen Mafia und Korruption und illegale Parteienfinanzierung mit der Aktion „Mani Pulite“ (saubere Hände) eine Republik-Krise losgetreten. Gegen mehr als fünftausend Personen wurde ermittelt, mehr als tausend Minister, Parlamentarier, Bürgermeister, Unternehmer, Banker, Anwälte wurden gerichtlich verurteilt. Hauptbetroffen waren die seit 40 Jahren regierende Democrazia Cristiana und ihr Partner, die Sozialisten Bettino Craxis. Beide Parteien lösten sich auf. Wenig später verwandelte sich auch die eurokommunistische KPI in die Partei des Demokratischen Sozialismus.

Um das politische Mitte-Rechts-Vakuum zu füllen, stieg Silvio Berlusconi 1994 in den Ring. Der Immobilien-Tycoon und Medien-Zar begründete seinen Eintritt in die Politik mit der Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme. In weniger als einem Jahr stampfte Berlusconi die „Forza Italia“ aus dem Boden. Als Organisationsstruktur diente ihm seine bis in jede Kleinstadt verzweigte Werbeagentur Publitalia. Als Sammelbecken der heimatlos gewordenen Democristiani und Sozialisten, aber auch unzähliger Quereinsteiger und Karrieristen, entpuppte sich „Forza Italia“ bald als Partei, in der nur einer das Sagen hatte: Il Presidente, Silvio Berlusconi.

Erratisch, egomanisch

Als Nicht-Politiker und „reichster Mann Italiens“ werde er das Land ebenso erfolgreich führen wie seine Unternehmen, versprach Berlusconi. Seine drei privaten TV-Sender dienten ihm als Instrumente der Dauerpropaganda und des Personenkults. Im Stil nahm Berlusconi den heutigen Donald Trump vorweg. Narzisstisch, egomanisch und erratisch diskreditierte er Institutionen und politische Kultur. In neun Regierungsjahren kümmerte er sich in erster Linie um die Absicherung seiner Unternehmen und den Kampf gegen die Justiz und kritische Medien. Das Resultat: Dutzende Gerichtsverfahren, Skandale und Italien vor dem Wirtschaftsbankrott. 2011 musste er unfreiwillig abdanken.

Im Rechts-Bündnis mit der Lega erreichte Berlusconi bei den Wahlen im März knappe 14 Prozent. Der starke Mann der Rechten heißt jetzt Matteo Salvini. Er bildet die neue Regierung ohne den vom M5S abgelehnten Berlusconi.

„Erneuerer“ Renzi

Ein weiterer Populismus-Schub war die Strohfeuer-Begeisterung über Matteo Renzi. Der erfolgreiche Bürgermeister von Florenz übernahm die Mitte-Links-Partei Partito Democratico und 2014 für drei Jahre die Regierung ebenso mit dem Anspruch, ein Politiker neuen Typs zu sein. „Rottamatore“, Verschrotter, nannte er sich. Verschrottet hat er die alte Führungsgarde der Linken und sie durch loyale Ja-Sager ersetzt. Seine Modernisierungs-Reformen wollte er in Rekordzeit durchpeitschen: Liberalisierung des Arbeitsrechts, Deregulierung, Schule, Justiz und Verfassung – alles sollte umgekrempelt werden.

Weil der mangelnde Aufschwung jede soziale Abfederung der Reformen verhinderte, hagelte es Unmut und Proteste. Heute ist die Linke ein Scherbenhaufen. 10% Stimmenverlust, Parteiabspaltungen und verfeindete Fraktionen in der PD. Die Wähler sind in Scharen zum M5S übergelaufen oder zuhause geblieben. Als einzigen Garanten gegen ein vollkommenes Abdriften der Anti-System-Regierung in Rom sehen viele Staatspräsident Sergio Mattarella. Die von Frankreichs Macron gewünschte Vertiefung der Union bleibt ohne die drittgrößte Wirtschaftsmacht der EU vorerst wohl illusorisch.

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