Die neue Hauptstadt im Dschungel Indonesiens
Es ist ein gigantisches Projekt, von der der Inselstaat Indonesien bereits seit der Erreichung seiner Unabhängigkeit 1949 träumt: eine neue Hauptstadt fernab der langsam im Meer versinkenden Mega-Metropole Jakarta. Nun soll sich dieser Traum mit dem Bau der Planstadt Nusantara auf der Insel Borneo erfüllen. Ein dazugehöriges Gesetz wurde bereits im Jänner verabschiedet, vor einigen Wochen begannen die Bauarbeiten für die grundlegende Infrastruktur. Schon 2024 sollen die ersten Behörden in die Provinz Ostkalimantan verlegt werden, so der sehr ambitionierte Plan.
Die Stadt versinkt
Präsident Joko Widodo will das dicht besiedelte Jakarta mit seinen elf Millionen Einwohnern als Wirtschaftszentrum der aufstrebenden Regionalmacht erhalten und gleichzeitig entlasten: Denn fast 70 Prozent der Stadtbevölkerung verfügen über keinen Zugang zu öffentlich sauberem Trinkwasser. Deshalb versucht jeder, einen Brunnen zu bohren, was den Grundwasserspiegel sinken lässt. Zudem sackt dadurch der Boden ein, was dazu führt, dass die Stadt bereits zu 25 Prozent unter dem Meeresspiegel liegt. Bis 2050 könnte das gesamte Gebiet von Nord-Jakarta überflutet sein. Außerdem verfügt die Stadt über eine veraltete Infrastruktur, die die riesigen Regenmengen nicht mehr abfließen lassen kann. Und dann gibt es da noch die "alltäglichen Probleme", wie Verkehrsstaus und Luftverschmutzung. Es war also an der Zeit, sich nach einem neuen Standort mit weniger Risikopotenzial umzusehen - und zwar schnell, denn Nusantara soll Präsident Widodos großes Vermächtnis werden, bevor in zwei Jahren seine letzte Amtszeit endet.
"Mit uns wurde nie gesprochen"
Nicht überall herrscht Enthusiasmus. Die Bewohner der Gegend, in der die Mega-City entstehen soll, betrachten das Hauptstadt-Projekt mit Skepsis und fürchten um ihren Lebensunterhalt. "Unsere Sorge ist, dass wir das Land verlieren, das wir seit Generationen bewirtschaften. Das wurde mit uns nie abgesprochen", so Sibukdin, ein Stammesführer aus Ostkalimantan, in der die zukünftige Hauptstadt gebaut werden soll.
Um Nusantara aus der Erde zu stampfen, werden in der ersten Bauphase 6.000 Hektar Dschungel zwischen den Städten Balikpapan und Samarinda gerodet. Insgesamt soll sich die Stadt bei ihrer Fertigstellung 2045 über mehr als 250.000 Hektar erstrecken und damit sechs Mal so sein wie Wien. Zu Beginn sollen etwa eine Million Menschen in das Verwaltungszentrum ziehen, allen voran Beamte, Militärs und Sicherheitskräfte. Die Kosten für das gesamte Unternehmen belaufen sich auf 30 Milliarden Euro, wovon 20 Prozent aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Den großen Rest sollen ausländische Investoren stemmen - allen voran aus China und Saudi-Arabien. Damit, so hofft man, würde das Wirtschaftswachstum im ganzen Land angekurbelt.
Skeptiker sehen das Vorhaben kritisch: "Die Regierung hätte dazu ein Referendum durchführen sollen", so der Aktivist Pradarma Rupang gegenüber dem Guardian. Außerdem würden sie das Projekt zu schnell vorantreiben und dabei vergessen, dass zumindest beim Baubeginn fossile Brennstoffe benötigt werden, so der Aktivist.
Smart, grün, modern
Die Regierung wünscht sich sowohl eine grüne wie auch smarte Stadt, in der sich die Probleme Jakartas nicht wiederholen dürfen. Auf den Straßen sollen den Plänen zufolge nur noch Elektroautos zugelassen sein, und auch sonst will man mit modernster Technologie glänzen. Zudem ist die Region den Behörden zufolge gut gewählt und sicher vor Naturkatastrophen. Der Politologe Henry Santrio sieht in dem Projekt jedoch einen falschen Ansatz: "In der Wirtschaftskrise eine neue Stadt zu bauen, sollte die letzte Priorität sein. Viel eher sollte man sich der Bekämpfung der Coronakrise widmen", so der Experte.
von Christina Zwander
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