„Die Lega ist nicht rassistisch, und ich bin weiß“

Cécile Kyenge, 2013 die erste und bisher einzige schwarze Ministerin in Italien
Cécile Kyenge, Ex-Ministerin für Integration, über rassistische Gewalt und politische Hintergründe

Als Cécile Kashetu Kyenge 2013 als erste italienische Ministerin afrikanischer Herkunft in die Regierung kam, war sie mit wüsten Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen konfrontiert. In unermüdlichem Einsatz kämpft die 53-jährige heutige EU-Parlamentarierin dafür, dass rassistische Diskriminierung nicht mehr als Kavaliersdelikt wahrgenommen wird. Sie betrachtet mit Sorge den Anstieg rassistischer Gewalt in Italien.

KURIER: Von Latina bis Palermo wurden allein vergangenen Monat sieben Personen aufgrund ihrer Hautfarbe Opfer von Gewalt. Sie appellierten an die Regierung, etwas zu unternehmen. Gibt es eine Reaktion?

Cécile Kashetu Kyenge: Nein leider, es gibt bisher überhaupt keine Reaktion. Rassistische Tendenzen gegenüber Afrikanern zeigen sich seit Langem, es spricht nur kaum jemand darüber, es ist fast ein Tabu. Früher hörte ich oft den Satz: „Ich bin kein Rassist, aber ...“ Heute hat sich das geändert und die Leute sagen: „Ich bin stolzer Rassist, und ihr müsst in eure Heimatländer zurückkehren.“

Als Ministerin für Integration (in der Regierung Ex-Premier Lettas 2013 bis 2014, Anm.) wurde ich mit rassistischen Anfeindungen überhäuft. Heute setzte ich mich als EU-Parlamentarierin gegen Afrophobie ein. Wir arbeiten an einer internationalen Strategie, die schon sehr früh bei Erziehung und Schuldbildung beginnen muss. In vielen EU-Ländern wird Islamophobie, Homophobie, Xenophobie thematisiert, aber man hört nie etwas von einer Afrophobie. Europa ist längst ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen.

Welchen Anteil hat die Lega/ Fünf-Sterne-Regierung am Anstieg der Gewalt gegen Ausländer?

Die Lega instrumentalisiert seit Jahren Migranten. In einer ewigen Wahlkampagne beschwört die Partei eine sogenannte „Migrationskrise“ und versucht dabei, Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika zu kriminalisieren. Meine Definition von Rassismus ist: der Versuch, Personen mit dunkler Hautfarbe grundlegende Menschenrechte zu verweigern. Damit fallen sie aus dem System und werden noch schwächer. In Zeiten der Wirtschaftskrise ist es leicht, Fremden die Schuld an allem zu geben.

Welche Rolle spielen die Fünf Sterne?

Wenn Di Maio (Vize-Premier und Minister) wie neulich in einer Talkshow bestreitet, dass es Rassismus gibt, ist das für mich ein Armutszeugnis. Wenn du an der Regierung bist und nicht sprichst, sondern schweigst, machst du dich zum Komplizen.

Es scheint, als ob es einen Pakt zwischen Lega und Fünf Sternen gibt, die jeweiligen Einflussbereiche nicht zu kritisieren. Aber damit schaufeln sich Bewegungen wie Fünf Sterne ihr Grab. Solange sie nicht Teil der Regierung waren, fiel es leicht, die Schuld dem „System“ zu geben. Jetzt wird ihre Ambivalenz und Unerfahrenheit deutlich.

Italien übergibt zwölf weitere Schiffe an Libyen. Sie sollen die libyschen Küstenwache unterstützen, um Abfahrten über das Mittelmeer zu stoppen. Nur die Opposition stimmte dagegen.

Damit wird klar, dass die Rettung von Menschenleben keine Priorität mehr hat, sondern wirtschaftliche Interessen. Ich erinnere daran, dass mit dem Marine-Einsatz „ Mare Nostrum“ von 2013 bis Oktober 2014 mehr als 150.000 Flüchtlinge, durchschnittlich 400 Menschen pro Tag, gerettet wurden. Seit Langem finden in Libyen schwere Menschenrechtsverletzungen statt. Junge Afrikaner werden als Sklaven verkauft, Frauen vergewaltigt. In den Lagern wird gefoltert.

Aber warum gibt es keine kritische EU-Reaktion zu Libyen?

Drei Gruppen verfolgen unterschiedliche Interessen. Die Visegrád-Staaten interessiert nur ihr eigenes Land, Nordeuropa plädiert weiter für das Dublin-Abkommen. Mittelmeerländer wie Italien, Spanien und Griechenland fordern eine gerechte Aufteilung der Geflüchteten auf alle EU-Länder.

Das römische Rechtsanwaltsbüro Legal Team hat Innenminister Salvini von der Lega wegen Amtsmissbrauch und Personen-Entführung geklagt. Er hatte dem Rettungsschiff „Diciotti“ die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigert. Nach tagelangem Tauziehen appellierte Präsident Mattarella an Premier Conte, die Situation zu entschärfen, der die Leute von Bord ließ. Ein Linkspolitiker hatte zuvor Salvini aufgrund der Roma-Volkszählung wegen Rassenhass verklagt. Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, die Klagen erfolgreich durchzubringen?

Zuallererst bedanke ich mich beim Legal Team für die Klage. Ich glaube, die Chancen stehen gut. Ich erinnere an den Fall Hirsi, als dreizehn Eritreer und zwölf Somalier beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den italienischen Staat verklagten. Sie wurden 2009 mit Dutzenden anderen von der italienischen Küstenwache aufgegriffen und nach Tripolis zurückgebracht. 2012 wurde ihrer Klage stattgegeben und sie erhielten Schadenersatzzahlungen.

Sie selbst wurden von Salvini verklagt, weil sie seine Lega als rassistisch bezeichneten.

Im Herbst geht es in die nächste Prozessrunde. Sie sehen, wie absurd die Lage ist. Aber ja, es stimmt, die Lega ist nicht rassistisch und ich bin weiß.

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