Die doppelte Hauptstadt: "Die Kanzlerin ist nie da"

In zwei Wochen ist Bonn wieder wichtig – beim G-20- Gipfel der Außenminister. Die alte Hauptstadt bockt gegen den Bedeutungsverlust.

"Es wird zurückkommen", sagt Jürgen Rausch. "Da bin ich mir sicher." Der 60-Jährige schaut durchs Fenster des Bretter-Provisoriums, das er sein Eigen nennt. "Früher sind sie alle hier ein- und ausgegangen, kamen gerne zu mir rüber", sagt er, und deutet auf das Gebäude nebenan. "Adenauer war da, Kohl hat seinen Fahrer geschickt, um Brötchen zu holen. Und Joschka Fischer hat sich hier immer die Zeitungen durchgesehen."

Nebenan, das war einmal der wichtigste Ort Deutschlands. Das Kanzleramt, daneben der Bundestag, die Machtzentren der BRD, aber der alten, wohlgemerkt. Die Bonner Republik war hier zu Hause, und Jürgen Rausch war ihr Wirt: Zwischen Kanzleramt und Hohem Haus stand sein Bundesbüdchen, jener Imbiss, in dem die hohe Politik sich bei Wurst, Kaffee und manchmal Bier traf.

Heute stehen ein paar Bauarbeiter am Tresen. 50 Jahre lang war das Büdchen Bauch der Republik. Seit 1999 ist Berlin Hauptstadt. Das Büdchen ist eingelagert auf einem Bauhof.

Identitätskrise

" Jetzt spielt die Musik in Berlin", sagt auch Monika Hörig, die Sprecherin der 320.000-Einwohner-Stadt. Sie kennt die Identitätskrise, in der die Stadt deshalb bis heute steckt. Damals wurde paktiert, dass künftig nicht nur viele Bundesbehörden in Bonn residieren sollen, sondern auch, dass sich die Regierungsbeamten auf die zwei Städte aufteilen, "60 Prozent in Berlin, 40 in Bonn." Man wollte sicherstellen, dass die einstige Hauptstadt nicht in wirtschaftliches Chaos abgleitet; auch die Nachnutzung der vielen Regierungsgebäude war ein Grund. So richtig funktioniert hat das aber nie: Um das Bundeshaus etwa, den alten Sitz des Bundestags, hat sich ein bizarrer Bauskandal aufgetan – ein Investor linkte die Stadt. Die Kommune blieb auf Millionenschulden sitzen. "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt", sagt Hörig; die Oper, das Orchester, alles sei überdimensioniert.

In Bonn reagiert man empfindlich, wenn aus der neuen Hauptstadt der Ruf nach dem Ende der Zwei-Städte-Lösung kommt. Ein Anachronismus sei sie. 20.700 Dienstreisen, die 2015 zwischen Berlin und Bonn stattfanden, sind ein deutlicher Beleg dafür.

Schleichender Umzug

In Bonn sieht man das nicht so. "Die Kosten sind das schwächste Argument", sagt Hörig. Nicht mal acht Millionen Euro pro Jahr habe die Hin- und Herfliegerei 2015 gekostet, sagt sie; und das sei im Vergleich zu einem Komplettumzug vernachlässigbar: Der schlage sich mit bis zu fünf Milliarden Euro zu Buche – und würde Bonn 27.000 Jobs kosten.

Die 40-60-Lösung werde "seit Jahren ausgehebelt", sagt Hörig; nach und nach hätten die Ministerien ihre Mitarbeiter in den vergangenen Jahren nach Berlin geholt. Auch die Minister, die ja über Dienstsitze in beiden Städten verfügen, seien nur sehr selten in der Bundesstadt, wie Bonn nach dem Vorbild der Schweizer Nicht-Hauptstadt Bern getauft wurde. Bundespräsident Gauck halte hie und da eine "Bonn-Woche" ab; aber die Kanzlerin? "Die ist nie da", sagt Hörig.

Besonders schmerzt die Stadt am Rhein, dass vor allem Bundesinnenminister Thomas de Maizière immer mehr Leute nach Berlin holt; schließlich ist der ein gebürtiger Bonner. Das ist für viele am wenigsten nachvollziehbar – auch, weil kaum Beamte gerne nach Berlin gehen würden: "Schon nach dem Hauptstadtbeschluss gab es eine große Berlin-Abneigung", sagt Hörig. "Auch den Karneval haben die Exilanten in Berlin einführen wollen, doch das "hat nicht so geklappt".

Auf den Beschluss muss die Stadt nun auch setzen, was die Zukunft angeht. Eine Klage gegen die stetige Abwanderung ist nicht möglich, das hat man prüfen lassen, deshalb gilt nun das Prinzip Hoffnung – und Selbstverantwortung. "Bonn geht es gut", sagt Hörig; man bemühe sich, attraktive Jobs zu schaffen, um die Abwanderung auszugleichen; und daneben gelte ja immer das rheinische Grundgesetz: "Et hätt noch emmer jootjejang" – es ist noch immer alles gutgegangen.

Daran glaubt auch Jürgen Rausch. Dass die Kanzlerin mal wieder in Bonn regieren werde, das sei ohnehin Utopie; aber sein Bundesbüdchen ausmotten, "das wird funktionieren", sagt er.

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