Als Sven verurteilt, als Marla in Haft: Wie ein Neonazi den deutschen Rechtsstaat testet

Verdict expected against right-wing extremist Liebich
Weil ein amtsbekannter Neonazi nach einer Verurteilung wegen Verhetzung seinen Geschlechtseintrag änderte, könnte er nun ins Frauengefängnis kommen. Der Fall sorgt für absurde Debatten über das Selbstbestimmungsgesetz.

Die Taten hat Liebich noch als Sven begangen. Seit den 1990ern kennen die Behörden in Sachsen-Anhalt ihn; er organisierte Anti-Ausländer-Demos, beschimpfte queere Menschen, postete nach Putins Invasion das Z-Propagandasymbol. Dazu hatte er einen Onlineshop, vertrieb T-Shirts mit Aufdrucken wie „Gender mich nicht voll“ oder „Ich fühle mich getransimpft“; auch Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“ bot er an.

Vor dem Gesetz gilt das als Volksverhetzung, Billigung eines Angriffskriegs, üble Nachrede und Beleidigung. Dafür wurde Sven Liebich 2023 auch verurteilt, 18 Monate lautete das Urteil. Ins Gefängnis geht der amtsbekannte Neonazi aber Ende des Monats als Frau: Nach dem Urteil ließ er seinen Geschlechtseintrag ändern.

Gesetzesmissbrauch?

Möglich macht dies das deutsche Selbstbestimmungsgesetz, das seit Herbst 2024 in Kraft ist. Weil Betroffene jahrelang über das entwürdigende Prozedere zur Änderung des Geschlechtseintrags klagten – bis letztes Jahr waren dafür zwei psychiatrische Gutachten sowie ein familiengerichtliches Verfahren nötig –, hatte die Ampelregierung das Verfahren massiv erleichtert. Seit Herbst 2024 genügt für Über-18-Jährige eine einfache Erklärung beim Standesamt, Minderjährige brauchen die Unterstützung ihrer Eltern oder eines Familiengerichtes.

Schon 2024 trommelten prominente Feministinnen im Chor mit Union und AfD, dass das Gesetz geradezu zu Missbrauch einlade. Männer könnten sich so in Frauensaunas schmuggeln, hieß eine viel zitierte Befürchtung, die im Gesetzestext dann sogar berücksichtigt wurde: Saunabetreiber können jederzeit auf ihr Hausrecht verweisen und Personen abweisen.

Der Fall Liebich treibt die Debatte von damals nun aber auf die Spitze. Die Kanzlerpartei, die immer schon gegen das Gesetz war, will es nun großflächig evaluieren lassen, auch die SPD – die es damals mitbeschlossen hatte – ist dafür offen. Die AfD als größte Oppositionspartei hingegen fühlt sich durch den Fall in all ihrer Kritik bestätigt und will es ganz abschaffen – ungeachtet der Tatsache, dass die zur Rechtsextremistin gewandelte nunmehrige Marla Svenja Liebich natürlich abstreitet, mit der Wandlung den Rechtsstaat vorführen zu wollen.

Die JVA entscheidet

Ob Liebich das überhaupt gelingen könnte, ist aber fraglich. Denn der deutsche Rechtsstaat hat mehr als nur eine Kontrollinstanz, die auch die Interessen anderer abwägen müssen: Auch mit geändertem Geschlechtseintrag entscheiden nämlich letztlich die Vollzugsbehörden, wo eine Person untergebracht wird.

Bei Liebich könnte eine Überstellung in den Männertrakt damit durchaus möglich sein. Die zuständige Justizvollzugsanstalt – im konkreten Fall in Chemnitz – prüft in einem Aufnahmegespräch, ob die Sicherheitsinteressen der Gefangenen selbst und auch der anderen Insassinnen gewahrt werden können. Ist das nicht der Fall, schreibt das Expertenportal Legal Tribune, ist die Inhaftierte eine Gefahr für andere, wäre eine Verlegung möglich – bei Liebichs rechtsextremem Hintergrund und den herabwürdigenden Äußerungen queeren Personen und Frauen gegenüber ist das durchaus denkbar.

Die JVA Chemnitz selbst fühlt sich dem zudem mehr als gewachsen. Man habe „jahrelange Erfahrung“ im Umgang mit trans-, inter- und non-binären Personen und damit verbundenen Einzelfallentscheidungen, auch wenn diese Begriffe „seinerzeit noch nicht geläufig“ waren, heißt es dort gegenüber Legal Tribune. In Zweifelsfällen würden ärztliche oder psychologische Stellungnahmen eingeholt.

Seltsame Blüten

Egal, wo Liebich letztlich landet: Dass der Fall die Medien beschäftigt, ist ein weiteres Kapitel im Kulturkampf zwischen links und rechts – und ein Sieg für Liebich. Die jüngste, seltsame Episode dazu lieferte Ex-Bild-Chef Julian Reichelt. Der jetzige Chefredakteur der rechtspopulistischen Plattform Nius – selbst ein erbitterter Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes – hatte Liebich öffentlich die amtliche Weiblichkeit abgesprochen, indem er „Sven Liebich ist keine Frau“ schrieb.

Liebich – vor Gericht in Leopardenbluse, Ohrringen und Walrossbart – verklagte Reichelt, wie übrigens auch alle anderen, die das behaupten. In erster Instanz gab die Justiz Reichelt Recht, mit dem Hinweis auf Meinungsfreiheit. Liebich ging in Revision und streitet weiter, auch vom Gefängnis aus. Nur von welchem Trakt, ist noch unklar.

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