Deutschland unter Merz: Keine sparsame "schwäbische Hausfrau" mehr?

Der Vorstoß kam vom scheidenden Grünen-Chef Robert Habeck und ist wohl als "letzte große Geste" des Realos zu verstehen. Das Angstszenario: ein wehrloses Europa, das zwischen Donald Trump und Wladimir Putin zerrieben werden könnte. Das will auch der wahrscheinlich nächste Kanzler Deutschlands nicht. Noch am Wahlabend sagte Unionschef Friedrich Merz:
Es werde für ihn "absolute Priorität haben, Europa Schritt für Schritt so zu stärken, dass wir Unabhängigkeit erreichen von den USA". Habecks Entgegenkommen griff Merz deswegen am Montag sofort auf: eine Reform der Schuldenbremse in alter Bundestagskonstellation.
Denn im neuen Bundestag haben AfD und Linke eine Sperrminorität, die dann zum Einsatz kommen könnte, wenn es um ein neues Sondervermögen, also von der Schuldenbreme ausgenommene Investitionen geht. Das war etwa für die Modernisierung der Bundeswehr notwendig gewesen. Die Union will mit AfD und Linke sowieso nicht zusammenarbeiten; zweitens ist es unwahrscheinlich, dass diese Schulden für Aufrüstung zustimmen würden. Die Linke hat das schon explizit klargestellt.
Schäubles Vermächtnis
Schon in den letzten Monaten hatte Merz, entgegen der Parteilinie, eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr ausgeschlossen. Sie ist das Vermächtnis des schwarzen Finanzministers Wolfgang Schäuble, der nur zu gern darauf verwies, dass seine Mutter eine "schwäbische Hausfrau" und dem Klischee zufolge zuallererst sparsam gewesen war.
Nach der Finanzkrise hatte Deutschland Angst vor der enormen Staatsverschuldung europäischer Länder. Die 2009 eingeführte Bremse sieht vor, dass die jährliche Neuverschuldung nicht höher sein darf als 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein ähnliches Instrument gibt es in Österreich nicht – weswegen Österreichs Staatsschuldenquote (2024: 83 Prozent) die EU sogar zur Androhung eines Defizitverfahrens gezwungen hat.
Doch so sauber die schwarze Null am Papier auch ist: Die Folge ist ein gigantischer Investitionsstau. Jahrzehntelang wurde kaum in Gemeinden, Infrastruktur, Digitalisierung oder die Bundeswehr investiert.
Die fehlenden Investitionen waren in den 2010er Jahren unmittelbar kaum spürbar – weil sich, anders als heute, die gesamte Weltwirtschaft nach der Finanzkrise rasch erholte und die Steuereinnahmen sprudelten. Die Schuldenbremse galt deswegen auch unter anderen Parteien als unantastbar – vor allem für die FDP, aber auch die SPD. Noch-Kanzler Scholz war lange ein Verfechter.

CSU-Chef Markus Söder hatte am Wahlabend Einigkeit beschworen. Bei Merz' Wunsch nach einer Reform der Schuldenbremse geht er nicht mit.
Reformvorschläge
Reformvorschläge gibt es zur Genüge, selbst von konservativen Wirtschaftsinstituten. Die Bundesbank schlägt vor, den Spielraum für die Kreditaufnahme zu erhöhen, und zwar gestaffelt – je nachdem wie groß der Staatsschuldenstand ist. Etwa auf 1,5 Prozent des BIP, solange die Staatsschuldenquote unter den von der EU vorgegebenen 60 Prozent des BIP liegt (2024 lag sie bei 63 Prozent). Eine andere Idee: eine Übergangsregel für die Zeit nach einem Notlage-bedingten Aussetzen der Schuldenbremse – das war während der Corona-Pandemie und nach Russlands Angriff auf die Ukraine der Fall. Schließlich droht ein zu harter Sparkurs nach einer wirtschaftlichen Flaute den wirtschaftlichen Aufschwung abzuwürgen.
Noch eine Möglichkeit: genau definierte "Zukunftsinvestitionen" in gewissem Umfang von der Schuldengrenze auszunehmen. Allerdings hängt diese Definition dann von der subjektiven Einschätzung der Parteien ab.
Kleine Reformen wären sogar ohne Zwei-Drittel-Mehrheit möglich: nämlich eine Änderung der Berechnungsweise der sogenannten Konjunkturkomponente. Die ermöglicht es, konjunkturelle Entwicklungen bei der Staatsverschuldung zu berücksichtigen. Geht es der Wirtschaft schlecht, erhöht sich der Spielraum. Die Berechnungsweise basiert auf Prognosen und ist umstritten. Die Ampel-Regierung hatte das zwar auf ihrer Agenda, allerdings nie umgesetzt.
Scholz zögert, Union ist uneinig
Die Zeit drängt. Der neue Bundestag kommt spätestens am 25. März zusammen. Noch-Kanzler Scholz zeigte sich am Montag im Willy-Brandt-Haus zögerlich, auch wenn er bei entsprechenden Verhandlungen kaum mehr viel mitzureden hätte. Um ein wenig Genugtuung wird es wohl auch gehen – schließlich war die elendige Finanzierungsfrage ja Grund für den Bruch seiner Ampel-Koalition.
Doch die Union ist uneins: Die bayerische CSU will bei ihrem Wahlversprechen bleiben, auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst plädierte dafür, zuerst "den Haushalt auf Einsparpotenziale zu durchforsten". Auch Merz ruderte am Dienstag vor der Unionsfraktionssitzung plötzlich wieder zurück; das sei "eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit, die da zu leisten ist", wird Merz zitiert.
Die deutsche Bevölkerung zeigt sich da schon einiger: In einer Insa-Befragung für t-online sprachen sich 49 Prozent für eine Lockerung der Schuldenbremse aus, 28 Prozent dagegen. Nur bei zwei Parteien lehnt mehr als die Hälfte der Wählerschaft eine Reform vehement ab: bei der AfD und der FDP.
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