Pro-EU-Demos: "Auch wir sind das Volk!"

Pro-EU-Demo in Frankfurt
Kulturkampf gegen Trumpisten: In Deutschland demonstrieren immer mehr Leute für Brüssel.

"We are all great" steht auf dem Schild, das das blonde Mädchen hochhält. Die Kleine grinst, ihre Mama auch, denn das Schild ist lustig und dennoch ernst: America first, wer auch immer second – diese Sprüche will man hier am Berliner Gendarmenmarkt nicht hören. Die 500 Leute, die sich im historischen Zentrum versammelt haben, wollen etwas anderes als laute Parolen. Sie wollen Zusammenhalt, sie wollen Vernunft, und sie wollen vor allem eines – Europa.

"All denen, die die EU für ein Auslaufmodell halten, sei gesagt: Das stimmt nicht!", sagt eine Dame mit starkem Berliner Akzent. "Ich will nicht, dass das alles kaputtgeht", setzt sie nach, während im Hintergrund die Ode an die Freude ertönt. Dass sie hier für ihre Idee eines geeinten Europas steht, ist kein Zufall; dass es so viele sind, die es ihr gleichtun, überrascht aber doch: "Es scheint ein großes Bedürfnis danach zu geben", sagt Daniel Röder, der Gründer der Initiative "Pulse of Europe", im KURIER-Gespräch. Erst Ende November hat er als Reaktion auf Trump und Brexit die erste Pro-EU-Demo in Frankfurt organisiert, im Freundeskreis, ohne viel Tamtam; 200 Leute kamen. Jetzt sind es bereits 20 Städte, die mitmachen, sagt er.

Bis nach Amsterdam und Paris

Immer sonntags, immer um 14 Uhr treffen sie sich – nicht nur in deutschen Städten, sondern auch in Amsterdam und Paris. Die Anliegen sind dabei ähnlich. "Wir wollen nicht mehr die schweigende Mehrheit sein", sagt ein junger Mann im Publikum. "Auch wir sind das Volk!", sagt eine ältere Dame ins Mikrofon. Man hat den Eindruck, sie will es bis nach Dresden und Leipzig rufen, dorthin, wo die Anti-EU- und Anti-Merkel-Krakeeler wohnen. Die sind es auch, denen Röder und Konsorten etwas entgegen setzen wollen. "Bleibt bei uns, Niederländer", ruft die Menge – die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich, die nächsten möglichen Exits, machen ihnen Sorgen.

Kritiklos will man deshalb aber nicht sein. Auch bei "Pulse of Europe" weiß man, dass nicht alles perfekt ist in Brüssel. "Wir sind keine EU-Romantiker", sagt der 44-Jährige, und genau das sei auch der Antrieb. Er will jedoch, anders als die Farages, Wilders und Le Pens dieser Welt, nicht mit dem Hammer auf Europa einschlagen, sondern es neu bauen, er will "eine Zukunftsvision von der Politik" . Einen Adressaten dafür gibt es auch, quasi eine Entsprechung des neuen Pro-EU-Hypes: Dass Martin Schulz die SPD zu Höhenflügen führt, hat nicht nur mit dem frischen Wind zu tun, den er in den Politbetrieb bringt – er spricht auch viele an, die genug haben vom EU-Bashing. Schulz hat der EU ein neues Gesicht gegeben, eines, das anders als Merkel nicht nur für eine deutsche Meinungshoheit in der EU steht: "Pulse of Europe" und der Schulz-Hype wirken wie korrespondierende Gefäße.

Graswurzel-Initiative

Selbst als politischer Player auftreten will die Initiative aber nicht, sagt Röder. Natürlich hätten Parteien und andere Bewegungen versucht, "Pulse of Europe" für sich zu vereinnahmen, aber davon distanziere man sich. Man sei Bürgerbewegung und Friedensbewegung, eine Graswurzel-Initiative also.

Sprechen darf deshalb jeder, man ist überparteilich und überkonfessionell, und das Publikum spiegelt das gut wider. Da sind die älteren Leute, die warnen, dass das wiederkomme, was sie in den 30ern und 40ern erlebt haben; da sind die Jungen, die sagen, sie hätten nie eine Welt mit Grenzen gekannt. "Jetzt, wo Europa auf der Kippe steht, merke ich, was ich davon habe", sagt ein junger Medizinstudent auf der Bühne. Mit Franc oder Mark bezahlen? Das sei undenkbar.

Wie genau eine neue Vision von Europa aussehen könnte, darüber herrscht hier in Berlin noch keine Einigkeit – und das ist auch gut so. Ein Diskussionsprozess soll in Gang gesetzt werden, bei dem alle mitreden können, hat sich der Jurist Röder vorgenommen. "Aufstehen und wählen gehen" sollen die Leute, wie er und seine Mitstreiter in den zehn Thesen formuliert haben, die der Initiative zugrunde liegen.

Genau das ist es, worauf die Demonstranten aufmerksam machen wollen. "Die Demokratie stirbt nicht an ihren Feinden, sondern an der Gleichgültigkeit ihrer Freunde", sagt ein junger Mann ins Mikro; seine weiteren Sätze gehen im Jubel unter.

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