Angela Alternativlos: Die schafft das

Angela Alternativlos: Die schafft das
Merkel ist noch lange nicht am Ende – auch dann nicht, wenn ihre CDU die Landtagswahlen verliert.

Die Kanzlerinnendämmerung beginnt am Sonntag, pünktlich um 18 Uhr. Dann, wenn die Hochrechnungen der drei Landtagswahlen über die TV-Bildschirme laufen, wenn klar wird, wie groß das Desaster für die CDU wirklich ist, wird auch Angela Merkel die Konsequenzen ziehen.

Oder?

Andrea Römmele schüttelt den Kopf. "Nein", sagt die Berliner Politikwissenschaftlerin. "Zurücktreten wird sie sicher nicht". Natürlich, es werde Debatten geben, es werde auch "rumoren", sagt sie, aber endgültige Konsequenzen? Die erwartet niemand. Selbst die größten Pessimisten in Berlin glauben nicht, dass die Ära Merkel durch die Flüchtlingskrise ein jähes Ende finden wird; nein, man ist eher vom Gegenteil überzeugt: Merkel wird die Wahl nicht nur politisch überleben, sie wird vielleicht sogar davon profitieren können.

Polit-Chamäleon

Worauf der Befund gründet? Auf dem, was Merkel am besten kann – sich anpassen. Sie ist und bleibt ein politisches Chamäleon; kaum ein Politiker hat so viel Zeit damit verbracht, sein Tun in Umfragen spiegeln zu lassen wie sie. Auch in der Flüchtlingskrise ist das nicht anders. Im Juli, als bereits massenhaft Flüchtlinge in Deutschland ankamen, war das Thema für sie nicht prioritär – da galt sie ob ihrer Griechen-Politik als "Zuchtmeisterin Europas". Erst nachdem sich durch den PR-Bauchfleck beim Flüchtlingsmädchen Reem ihr Ruf noch verschlimmert hatte, wandelte sie ihr Image: Aus dem Satz "Das können wir auch nicht schaffen", mit dem sie der 14-Jährigen ihre mögliche Abschiebung erklärte, wurde eineinhalb Monate später ihr "Wir schaffen das".

Freilich, diese Kehrtwende mag ihren Grund auch in den Bildern aus Ungarn haben, die Merkel wirklich berührt haben sollen. Dass sie die vergleichbaren Bilder aus Idomeni jetzt aber nicht so mitnehmen, hat aber vermutlich weniger emotionale Gründe: Den Gestrandeten in Idomeni sagt sie lapidar, dass es ja "Übernachtungsmöglichkeiten in Griechenland" gebe – ein bemerkenswerter Stilwechsel. Merkel nähert sich in kleinen Schritten wieder dem an, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt. Schon lange spricht sie nicht mehr vom "schaffen"; dafür hört man "illegale Migranten" öfter.

Stabile Werte

Angela Alternativlos: Die schafft das
Dies und der Umstand, dass durch Österreichs Grenzsperre kaum Flüchtlinge ankommen, stabilisiert ihre Beliebtheitswerte wieder. Der Einbruch im Herbst dürfte ihr ohnehin nicht allzu viele graue Haare beschert haben. Denn Merkel steht im Vergleich zu ihren Vorgängern bombenfest da: 54 Prozent sind derzeit zufrieden mit ihr – Kohl kam in seinem letzten Jahr im Schnitt auf magere 30 Prozent; Schröder im Gesamtschnitt seiner Amtszeit nur auf 48 (siehe Grafik).

Dass es Merkels anders ergeht als ihren Vorgängern, liegt auch daran, dass sie mit ihrer Anpassungs-Politik die Parteienlandschaft verändert hat. "Merkel könnte auch eine SPD-Kanzlerin sein", sagt Römmele – durch ihre Aneignungspolitik fischt sie im Teich anderer Parteien, gerade in der Flüchtlingskrise hat sich das gezeigt. Die Wähler konzentrieren sich deshalb nicht mehr primär auf Programmatik, sondern auf das, wofür einzelne Politiker stehen – das sieht man auch in Baden-Württemberg: Dort hat der Grüne Kretschmann die CDU überrundet – mit einer Politik, die der Merkels ähnelt.

SPD leidet am meisten

Zu spüren bekommt das vor allem die SPD, der Merkel ihren "Markenkern geklaut hat", wie Römmele sagt. Sie ist nur mehr in Rheinland-Pfalz eine echte Größe, in den anderen beiden Ländern ist sie auf 14 Prozent abgestürzt. Gut möglich also, dass die Wahl nicht in der CDU, sondern in der SPD eine Debatte über den Parteichef auslöst – Merkel käme dies nur zugute, weil es von ihr selbst ablenkt.

Vom CDU-Ergebnis hingegen könnte die Kanzlerin profitieren – so oder so: Gewinnt die CDU, ist es klarerweise auch Merkels Erfolg; verliert sie, liegt es daran, dass sich die drei Kandidaten zu sehr von Merkels Flüchtlingspolitik distanziert haben (siehe Artikel unten). In beiden Fällen hätte Merkel es geschafft, die als Kanzlerinnendämmerung stilisierte Wahl umzudeuten.

Wieso das so ist, ist für Römmele schnell erklärt. "Es geht ihr um ihr Vermächtnis", sagt sie. Deshalb zähle ein schlechtes Wahlergebnis auch weniger als das, was von ihrer Politik übrig bleiben wird. "Merkel macht Politik für Menschen, die sie nicht wählen können", beschrieb ein Kommentator ihr Tun unlängst. Genau das sollte in ihrem Geschichtsbucheintrag stehen – neben dem Wörtchen "alternativlos".

"She’s a maniac", hallt es durch das Steintor-Varieté in Halle. Die Band im roten Glitzeroutfit schmettert das Lied mit Verve durch den Saal, mitgewippt wird aber kaum. Vielen der gut 300 CDU-Mitglieder hier ist nicht klar, ob die grellblonde Sängerin damit den Stargast des Abends meint; manche kichern aber.

Bis zur Hauptperson des Abends dringt die Nummer ohnehin nicht vor. Als Angela Merkel den Saal betritt, hat die Band schon die Bühne verlassen. Dennoch wirkt die Kanzlerin ein bisschen verhärmt. Der Grund dafür ist ihr Gastgeber – Reiner Haseloff . amtierender Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat sie zum Wahlkampf-Finale eingeladen; und um seine Wahl am Sonntag auch zu gewinnen, arbeitet er sich an ihr und ihrer Flüchtlingspolitik ab.

Er ist freilich nicht der einzige, der das in der CDU tut. Auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sitzen mit Guido Wolf und Julia Klöckner zwei, die gegen Merkel feixen. Allein, bei Haseloff ist die Sache noch komplizierter; ihm sitzt nämlich auch die AfD im Nacken, weshalb er sich noch ein bisschen heftiger von Merkel abzusetzen versucht. Er, der eigentlich moderate Landesvater, forderte lautstark eine Obergrenze – als erster in seiner Partei.

"Ich weiß, wo die Grenzen sind"

Daran erinnert er sie auch heute, wenn auch nur dezent. Auf den gar nicht so böse gemeinten Vorwurf Merkels, er mache gern viel Druck in Berlin, sagt er zurückgelehnt: "Ich weiß, wo die Grenzen sind." Merkel verzieht das Gesicht, der Saal lacht. "Ihre Obergrenze ist damit wohl erreicht", sagt ein Zuschauer. Viel wärmer wird der Empfang, der Merkel bereitet wird, auch nicht mehr. Viel Applaus bekommt sie nur, als sie sich dem Duktus ihrer Kritiker nähert. Wenn sie über Köln redet oder über fehlenden Integrationswillen; bei Sätzen wie: "Es hat keinen Sinn, etwas zu verschweigen, sonst werden wir die Integration sowieso nicht schaffen."

Wenn Merkel über Probleme des Landes spricht, über Abwanderung, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven, hört der Saal weniger gern hin. Da hilft es auch nicht, dass sie mit einem "Wir" daherkommt, mit dem "Wir" der Ostdeutschen, das sie ja auch selbst umfasst. Wenn sie davon spricht, wie gut es dem Land seit der Wende gehe, wie viel es von der Einheit profitiert habe, murren viele, dass Berlin ja mit diesem "Wir" nicht besonders viel zu tun habe. Und dass die Hauptstadt vor allem dann ganz weit weg sei, wenn es um das Streitthema des Abends geht: "Wir", sagt sie, hätten uns in der DDR so nach der Freiheit gesehnt. "Das werden wir doch anderen weitergeben können." Da ist der Applaus sehr verhalten.

Das liegt vielleicht auch daran, dass sie einen wunden Punkt trifft. Die Angst vor dem, was hier rechts und links der Mitte passiert. In Sachsen-Anhalt sind beide Extreme stark; die Linke kommt auf 21 Prozent; sie könnte gar verhindern, dass die CDU trotz 32 Prozent eine Neuauflage der Großen Koalition schafft. Die AfD rangiert bei 19 Prozent.Über sie spricht heute aber kaum wer. Dass kurz vor Beginn der Veranstaltung einer Flüchtlingsinitiative in Halle die Eingangstür zugemauert wurde, passt da irgernwie dazu. Haseloff erwähnt den Vorfall nicht, ebenso wenig wie die vielen anderen Übergriffe in seinem Land. Er sagt nur: "Es ist nicht die Zeit für Experimente" – und meint damit die Linke. Am Tag danach findet im Varieté hier übrigens die "Nacht der Illusionen" statt. Auch das passt irgendwie.

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