Ja zur Homo-Ehe: Wie Merkel die SPD bedrängt

Angela Merkel und Martin Schulz
Dass die Kanzlerin in puncto Homo-Ehe umschwenkt, hat Kalkül: Statt auf Konfrontation zu gehen, besetzt sie lieber die Themen der Konkurrenz.

Selbst die Moderatorinnen schienen nicht ganz sicher: Zu beiläufig, fast schon lapidar wirkte es, als Angela Merkel am Montagabend in einer Diskussion der Zeitschrift Brigitte sagte, die Entscheidung über die Homo-Ehe sei keine parteipolitisches Frage, sondern nur eine "Gewissenentscheidung".

Wie jetzt: War das wirklich die Abkehr von ihrem ewigen Nein zur Homo-Ehe? Ja, das war es – und noch viel mehr: Denn dass Merkel ihrer CDU freistellte, ohne Fraktionszwang über die "Ehe für alle" abzustimmen, war nicht nur die gesichtswahrende Antwort auf den steigenden Druck aller anderen Bundestags-Parteien, sondern vor allem ein geplanter Schachzug. "Asymmetrische Demobilisierung" nennt sich ihre Taktik zur Wählergewinnung – dass sie sich kaum zu Reizthemen äußert, selten polarisierende Positionen einnimmt, "auf Sicht fährt", wie sie selbst sagt, nimmt Reibung aus dem Parteienwettstreit. Es demobilisiert den Gegner, der kaum Angriffsfläche hat – und dessen Wähler werden desinteressiert.

Wechselwähler-Fischen

Merkels Wende in puncto Homo-Ehe ist ein weiterer Schritt in diesem Kurs. In den vergangenen Jahren hat sie viele konservative Positionen der CDU aufgegeben, ihre Union so immer weiter in die Mitte gerückt– zum Nachteil von SPD und Grünen, in deren Gewässern sie erfolgreich fischte. Merkels Vorteil dabei: Ihre CDU hat Stammwähler, die recht schwer zu verprellen sind, SPD und Grüne aber waren schon immer auf Wechselwähler angewiesen.

Auf genau die zielt Merkel – etwa mit der Energiewende: Noch im Herbst 2010 ließ sie die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern, nach der Katastrophe von Fukushima forcierte sie aber flugs den Atomausstieg – und stahl, zur "Klimakanzlerin" gewandelt, den Grünen ihre Inhalte. Ähnliches gilt für Frauenquote, Wehrpflicht-Abschaffung und Mindestlohn: Alle drei SPD-Herzensprojekte wurden unter ihrer Ägide umgesetzt – und sie profitierte stark davon, weil sie einen für alle gangbaren Konsens erzielte, und sich so das Etikett "reformfreudig" anheften konnte. Die Genossen hingegen mussten zusehen, in ihrem Schatten nicht zu klein zu werden.

Auch in diesem Wahlkampf versucht Merkel nun diesen Weg. Das Bild dabei ist klar: Sie, die überlegte Reformerin, neben der SPD, die sich Rumpelstilzchen-artig über sie ärgert. Dass Spitzenkandidat Martin Schulz ihr beim Parteitag am Sonntag vorwarf, ihre Abwehrhaltung sei wie ein "Anschlag auf die Demokratie", kommentierte sie deshalb gar nicht weiter – der Wahlkampf sei wohl anstrengend, und "Schwamm drüber", sagte sie nur.

Schulz macht Druck

Schulz nervt dieses Verhalten sichtlich. Er preschte am Dienstag darum vor und setzte Merkel unter Druck: Die Abstimmung über die Homo-Ehe solle nicht erst in der neuen Legislaturperiode stattfinden, wie von ihr vorgeschlagen, sondern schon an diesem Donnerstag – der letzten Möglichkeit vor der Wahl. Ob ihm das etwas nützt, muss sich erst weisen.

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