De Maizière: "Mit Koranübersetzung werden Hassbotschaften verbreitet"
Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hat eine große salafistische Vereinigung aufgelöst. Der Verein "Die wahre Religion" (DWR) - auch bekannt unter dem Namen "LIES! Stiftung" und "Stiftung LIES" - werde in zehn Bundesländern verboten, sagte de Maiziere am Dienstag in Berlin. In rund 60 Städten habe es etwa 190 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen gegeben. Unter dem Vorwand der Werbung für den Islam bringe der Verein als Netzwerk bundesweit in Fußgängerzonen dschihadistische Islamisten zusammen.
"Mit der Koranübersetzung in der Hand werden Hassbotschaften und verfassungsfeindliche Ideologien verbreitet und Jugendliche mit Verschwörungstheorien radikalisiert", sagte de Maiziere. Mehr als 140 junge Menschen seien nach der Teilnahme an "LIES"-Aktionen nach Syrien oder in den Irak ausgereist, um sich dort dem Kampf extremistischer Gruppierungen wie dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Deutschland sei eine wehrhafte Demokratie, sagte der Minister. "Eine systematische Beeinträchtigung unserer Grundwerte ist mit angeblicher Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren."
Zweitgrößtes Verbotsverfahren überhaupt
Laut de Maiziere handelt es sich nach dem Verbot des Kalifatstaates 2001 um das zweitgrößte Verbotsverfahren des Bundesinnenministeriums überhaupt. De Maiziere unterstrich, das Verbot ziele nicht auf die Werbung für den islamischen Glauben oder dessen Verbreitung und auch nicht auf die Verteilung von Koranen insgesamt. "Verboten wird der Missbrauch einer Religion durch Personen, die unter dem Vorwand, sich auf den Islam zu berufen, extremistische Ideologien propagieren und terroristische Organisationen unterstützen."
Dutzende Polizeieinsätze in den Morgenstunden
Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr zeitgleich in zehn westdeutschen Bundesländern und Berlin begannen, waren Hessen mit knapp 65 Durchsuchungen - darunter allein 15 in Frankfurt am Main - sowie Nordrhein-Westfalen und Bayern mit jeweils fast 35 Polizeiaktionen. In Niedersachsen durchsuchten die Beamten mehr als 20 Liegenschaften, in Berlin fast 20, in Baden-Württemberg gut 15, in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und in Hamburg je etwa 5 und in Bremen eine. Auch gegen jeweils einen Moschee-Verein in Baden-Württemberg und Hamburg lagen Durchsuchungsbeschlüsse vor. In ostdeutschen Flächenländern gab es keine Durchsuchungen.
Chefideologe festgenommen
Rekrutierungen
Der Verfassungsschutz wirft führenden Akteuren und Sympathisanten der Vereinigung "DWR" vor, den bewaffneten Dschihad ("Heiliger Krieg") und Terroranschläge zu verherrlichen. Zudem habe die Vereinigung ein in Deutschland einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für Dschihadisten aufgebaut. Bisher sind nach Informationen aus Sicherheitskreisen mindestens 140 "Lies!"-Aktivisten und Unterstützer aus Deutschland nach Syrien und in den Irak gereist, um sich der IS-Terrormiliz anzuschließen.
Das Verbot der salafistischen Vereinigung ziele nicht auf die Verbreitung des islamischen Glaubens oder die Verteilung von Koranen oder deren Übersetzungen, hieß es weiter. Verboten werden solle lediglich der Missbrauch des Islam durch Aktivisten, die extremistische Ideologien propagierten oder Terrororganisationen unterstützten. Unter anderem werde jede Betätigung für den Verein, die Teilnahme an Koran-Verteilaktionen von "Lies!" sowie die Verbreitung von Videos im Internet verboten.
Auch in Österreich aktiv
Seit Jahren sorgt die nun verbotene islamistische Vereinigung für Schlagzeilen in Deutschland. Erklärtes Ziel der Kampagne unter dem Namen "Lies!" ist es, jedem Haushalt in Deutschland eine Koran-Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Laut dem Gründer, dem Palästinenser Ibrahim Abou-Nagie, wurden bis Mitte 2016 rund 3,5 Millionen Exemplare verteilt.
Doch für den deutschen Verfassungsschutz ist die Koran-Verteilung in Fußgängerzonen nur Fassade, um für eine verfassungsfeindliche Ideologie zu werben. Auch in Österreich werden die Aktivitäten des Vereins von den Verfassungsschützern "aufmerksam beobachtet", wie Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck der APA auf Anfrage bestätigte. Anhaltspunkte für strafbare Handlungen habe es bei den umstrittenen Verteilaktionen bisher aber noch nicht gegeben.
Das Predigernetzwerk wurde laut den Behörden 2005 gegründet und konzentrierte sich zunächst auf Vorträge und Seminare, bevor es mit den Koran-Verteilaktionen mehr Aufmerksamkeit erlangte. Netzwerkgründer und Laienprediger Abou-Nagie wurde in Köln im Februar verurteilt - allerdings wegen gewerbsmäßigen Betrugs.
Zahl der Salafisten steigt
Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten. Sie sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islams, lehnen Reformen ab und betreiben die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Der deutsche Inlandsgeheimdienst bezifferte die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9.200. Es radikalisieren sich dabei immer mehr junge Menschen. Motor der Radikalisierung ist oft das Internet. Eine autoritäre Erziehung, innerfamiliäre Gewalt und soziale Unsicherheit verstärken Studien zufolge die Bereitschaft junger Menschen, selbst gewalttätig zu werden und sich von Islamisten vereinnahmen zu lassen.
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