Warum die SPD gestärkt in die neue Legislaturperiode geht

Signing of the coalition agreement of new German government in Berlin
Am Montag stellte die SPD ihre neuen Minister vor. In der Union warnt man schon jetzt, die Große Koalition sei die "letzte Chance" für die Demokratie.

Heute, Dienstag, ist es so weit: Zweieinhalb Monate nach seinem Wahlsieg wird Friedrich Merz (CDU) als neuer deutscher Kanzler angelobt. Erst schenken die Bundestagsabgeordneten ihm formal ihr Vertrauen, anschließend wird er im Schloss Bellevue die Hand von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schütteln, dann ist der 69-Jährige am Ziel, auf das er jahrzehntelang hingearbeitet hatte.

Ein Hauch von Genugtuung

Dafür hat er die Große Koalition mit der SPD wiederbelebt, also der Partei seines Vorgängers Olaf Scholz, den Merz in den vier Ampel-Jahren als Hauptverantwortlichen für die deutsche Rezession und das Erstarken der rechtsextremen AfD kritisiert hatte.

Wenn der neue Kanzler am Nachmittag vom alten feierlich das Berliner Kanzleramt übergeben bekommt, dürfte ein Hauch Genugtuung durch das Büro im siebten Stock wehen.

Am Montagabend absolvierte Scholz seinen letzten großen Auftritt: Die Bundeswehr erwies ihm bei der Zapfenstreich-Zeremonie höchste militärische Ehre. Dabei wünschte sich der laut Umfragen unbeliebteste deutsche Kanzler als Eröffnungslied ausgerechnet „Respect“ von Aretha Franklin.

SPD-Minister vorgestellt

Bei den wirklich relevanten Terminen fehlte Scholz dagegen, politisch wird er ohnehin keine Rolle mehr spielen.

Die SPD hat inzwischen Lars Klingbeil übernommen. Der 47-Jährige nutzte die Gunst der Wahlniederlage im Februar geschickt, um sich in der eigenen Partei und den Koalitionsverhandlungen viel Macht zu sichern. Klingbeil wird Vizekanzler und Finanzminister, die SPD stellt trotz eines Wahlergebnisses von gerade einmal 16,4 Prozent sieben Ministerposten.

Vor den Backsteinwänden des Berliner Gasometers präsentierte Klingbeil am Montag sein Regierungsteam – und hielt sich dabei an zwei zuvor getätigte Versprechen: Mehr Frauen als Männer sollten es sein, dazu ein „Generationenwechsel“ innerhalb der Partei eingeleitet werden.

FILE PHOTO: Press conference after CDU/CSU and SPD reached an agreement in coalition talks, in Berlin

Lars Klingbeil (47)

Vizekanzler und Bundesminister für Finanzen.

SPD announces the name of its ministers, in front of the Gasometer in Berlin

Bärbel Bas (57)

Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

SPD announces the name of its ministers, in front of the Gasometer in Berlin

Reema Alabali-Radovan (35)

Bundesministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

SPD announces the name of its ministers, in front of the Gasometer in Berlin

Verena Hubertz (37)

Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.

SPD announces the name of its ministers, in front of the Gasometer in Berlin

Carsten Schneider (49)

Bundesminister für Umwelt, Klimaschutz und nukleare Sicherheit.

SPD announces the name of its ministers, in front of the Gasometer in Berlin

Boris Pistorius (65)

Bundesminister für Verteidigung.

Mit Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan ist der SPD sicher die größte Überraschung gelungen. Die Tochter irakischer Eltern ist erst seit 2021 in der Partei, gilt aber schon jetzt als SPD-Zukunftshoffnung. Genau wie Wohnbauministerin Verena Hubertz (37), die zuvor als Start-up-Gründerin erfolgreich war. 

Mit Carsten Schneider übernimmt ein treuer Wegbegleiter Klingbeils das Umweltministerium, die langjährige Justizbeamte Stefanie Hubig wird Justizministerin.

Für die heikelsten Posten setzt die SPD auf altbekannte Gesichter. Verteidigungsminister Boris Pistorius darf weitermachen und die teure Aufrüstung der Bundeswehr vorantreiben. Bärbel Bas, die als Bundestagspräsidentin überzeugte, wird Arbeits- und Sozialministerin – und muss dabei die komplizierte Sozialstaatsreform umsetzen, auf die Merz’ CDU besteht.

TOPSHOT-GERMANY-POLITICS-GOVERNMENT-COALITION-SIGNING

Die neue deutsche Bundesregierung: Kanzler Friedrich Merz (mitte) posierte am Montag mit dem neuen Ministerteam der schwarz-roten Koalition.

Harmonie als "letzte Patrone der Demokratie"

Mit dieser Truppe soll es eine andere Große Koalition als bisher werden, eine harmonischere. Schon jetzt warnt Merz, dass ein Scheitern dieser Regierung, wohl die AfD an die Macht spülen würde. CSU-Chef Markus Söder hatte gar von der „letzten Patrone der Demokratie“ gesprochen.

Klingbeil teilte diese Sorge bisher nicht öffentlich. Wahrscheinlicher ist, dass er sich durch eine erfolgreiche Legislaturperiode erhofft, 2029 selbst Kanzler zu werden.

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