Eine Billion Schulden: Merz’ Milliardenwette auf die Zukunft

Olaf Scholz wischt über sein Handy, sieht gelangweilt durch den Raum. Dass da vorne sein gesetzter Nachfolger steht, interessiert ihn mäßig, um es höflich zu formulieren.
Irgendwie kann man das ja verstehen. Er hat schließlich drei Jahre lang versucht, was ausgerechnet Friedrich Merz gelungen ist: Der CDU-Chef, ein ausgewiesener Fan der Schuldenbremse, hat das Instrument massiv gelockert, und er hat den staatlichen Geldbeutel weit geöffnet. Und Scholz, den der Streit über die Schuldenbremse das Amt gekostet hat, muss dabei zusehen – und das künftig auch noch von den hinteren Reihen des Bundestags aus.
Paradigmenwechsel
Für die Opposition war es „Wählertäuschung“, für die künftige Koalition aus Union und SPD ein „historischer Moment“ – in Wahrheit war es ein bisschen von beidem: Friedrich Merz hat am Dienstag das jahrelange Spardogma der Deutschen abmontiert, er machte Schluss mit einer fiskalischen Selbstfesselung, die vor allem die DNA seiner Union trug: 513 Abgeordnete stimmten für den Paradigmenwechsel, deutlich mehr als die 489 nötigen. Das Ja im Bundestag am Freitag ist damit Formsache.
Argumentiert hat Merz diese Schuldenwende, wie die Volte in Anspielung auf Scholz’ „Zeitenwende“ genannt wird, mit eben jener „historischen Herausforderung“, die Europa seit drei Jahren zu meistern versucht. Putins Truppen „führen nicht nur Krieg gegen die Ukraine, sie führen Krieg gegen Europa“, sagte Merz , und wurde noch deutlicher: „Es ist auch ein Krieg gegen unser Land.“
"Neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft"
Dass etwas getan werden muss in Sachen Verteidigung, das ist den meisten Deutschen ob des Zustandes der Bundeswehr klar (siehe unten). Und auch wenn Merz Donald Trump in seiner Rede nicht explizit erwähnte, so war doch klar, dass dessen Abrissbirnen-Politik der eigentliche Grund für den Wandel der Union war – man verlasse sich noch immer auf die Amerikaner, sagte der Kanzler in spe ganz diplomatisch, aber die Milliarden für die eigene Wehrhaftigkeit sei dennoch der „erste große Schritt zu einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft“. Eine Allianz, die auch ohne die USA oder vielleicht auch ohne die NATO auskommen könnte, stand da plötzlich im Raum.
Wie eine solche Gemeinschaft aussehen könnte, ließ Merz offen, wohl ganz bewusst. Noch ist er nicht Kanzler, noch sind nicht einmal die Koalitionsgespräche abgeschlossen, und mit anderen Staats- und Regierungschefs hat er noch nicht auf Augenhöhe gesprochen.
Ökonomisch riskant
Konkreter wurde er bei den Milliarden für Infrastruktur, die hatten auch deutlich mehr Zweifler auf den Plan gerufen als die Verteidigungsausgaben. Zwar verneint niemand, dass das Land dringend Investitionen in die eigene Ausstattung braucht; denn dass die Wirtschaft schrumpft, hat nicht nur mit Krieg und Teuerung, sondern auch mit bröckelnden Brücken und ausfallenden Zügen zu tun. Namhafte Wirtschaftsforscher wiesen Merz deshalb mit erhobenem Zeigefinger darauf hin, das Geld ja nicht per Gießkanne über die eigene Klientel zu verteilen: Mütterrente oder Agrardiesel-Subventionen – die klassischen CSU-Wahlkampfschlager – wären die falschen Ansatzpunkte, heißt es.
Denn ökonomisch ist die Wette, die Merz mit seinen Milliarden eingeht, durchaus riskant. Der Schuldenberg aus Lockerung und der Schuldenbremse und Infrastruktur-Sondervermögen wird sich in den nächsten zehn Jahren auf bis zu 1,7 Billionen Euro summieren, und das wiederum könnte den Schuldenstand des traditionell wenig verschuldeten Deutschland von 62 auf 90 Prozent des BIP hochtreiben. Ökonomen treibt deshalb die Sorge um, dass Deutschland vom Stabilitätsanker der Währungsunion zum Großschuldner mutiert – und das von anderen Staaten als „Freibrief“ zum Schuldenmachen genutzt wird. Das wiederum, so die Befürchtung, könnte die ganze Eurozone in Schieflage bringen.
Adenauer-Moment
In der künftigen Koalition quittierte man diese Sorge mit Pragmatismus. „Bedrohungslage geht vor Kassenlage“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius, der sein Amt wohl auch unter Merz behalten wird. Die Grünen, die dem Paket unter der Auflage von 100 Klima-Milliarden zustimmten, erinnerten den Kanzler in spe an seine historische Verantwortung: „Herr Merz, das könnte für Sie ein Adenauer-Moment werden“, sagte Grünenchefin Franziska Brantner in Anspielung auf die damals forcierte Westbindung. „Deutschland ist ein tolles Land, machen Sie was draus.“
Friedrich Merz nickte da nur verhalten.
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