Merkel fordert CIA-Vertreter zur Ausreise auf

Die US-Botschaft in Berlin
Der deutsche Außenminister Steinmeier wird die Spionageaffäre demnächst mit seinem US-Amtskollegen Kerry besprechen.

Als Konsequenz aus der neuen Spionageaffäre hat die deutsche Bundesregierung den CIA-Statthalter in Berlin nach Angaben des Innenpolitikers Clemens Binninger zum Verlassen des Landes aufgefordert. Ein Paukenschlag. Mit diesem Schritt, der unter verbündeten Staaten ungewöhnlich ist, machte sie ihre Verärgerung über die mangelnde Bereitschaft der USA zur Aufklärung der Spähaffäre deutlich.

Von der Maßnahme betroffen ist nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert der offizielle Repräsentant der US-Geheimdienste in Deutschland. Dieser sogenannte Legalresident ist an der US-Botschaft in Berlin angesiedelt, er ist für die Kontaktpflege zu den deutschen Diensten zuständig. Die Aufforderung an den US-Vertreter sei vor dem Hintergrund der "seit Monaten anstehenden Fragen zur Zusammenarbeit von US-Nachrichtendiensten in Deutschland" erfolgt, erklärte Seibert. Er verwies aber auch auf die jüngst aufgenommenen Ermittlungen des Generalbundesanwalts in zwei Fällen von Spionageverdacht.

Spionage für Merkel "Vergeudung von Kraft"

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BundeskanzlerinAngela Merkelvon der CDU äußerte sich ungewöhnlich kritisch zum Vorgehen der US-Geheimdienste. "Mit gesundem Menschenverstand betrachtet" sei das Ausspionieren von Verbündeten "Vergeudung von Kraft", sagte sie in Berlin. Verbündete sollten einander vertrauen:

"Mehr Vertrauen bedeutet nach meiner Auffassung mehr Sicherheit."

Mit deutlichen Worten begründete der Vorsitzende des für Geheimdienstkontrolle zuständigen Bundestagsgremiums den Rauswurf des US-Vertreters: Es handle sich um eine "politische Reaktion auf den bislang nicht erkennbaren Aufklärungswillen" der USA, sagte der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger. Binninger sitzt dem Parlamentarischen Kontrollgremium vor, das am Mittag von Vertretern der Bundesregierung und der Geheimdienste über die beiden jüngsten Fälle der mutmaßlichen Spionage für die USA informiert wurde.

Einigkeit zwischen Regierung und Opposition

In dem Kontrollgremium wurde der Schritt der deutschen Regierung fraktionsübergreifend begrüßt. Der SPD-Vertreter Burkhard Lischka verwies darauf, dass Deutschland den USA viele Fragen zu der Affäre gestellt habe, "ohne irgendeine Antwort zu bekommen". Auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke begrüßten den Schritt, forderten aber noch weiter gehende Maßnahmen, um die USA zur Beendigung der Spähaktionen zu bewegen.

Das Kontrollgremium beschloss eine weitere Befassung mit den mutmaßlichen US-Spionagefällen beim Bundesnachrichtendienst (BND) und im Verteidigungsministerium. Die Mitglieder wollen nach Binningers Angaben alle 218 Dokumente unter die Lupe nehmen, die der vorige Woche festgenommene BND-Beamte an die USA weitergegeben haben soll. BND-Chef Gerhard Schindler habe in der Gremiumssitzung dargelegt, die Dokumente seien aus einem "nicht sehr brisanten Bereich", sagte Binninger. Nur eines der Dokumente habe mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu tun, der die NSA-Spähaffäre aufarbeiten soll.

Der Fall habe gezeigt, dass die Sicherung des BND "an Grenzen kommt, wenn ein bestimmtes Maß an krimineller Energie erreicht" sei, sagte Binninger. Der Mitarbeiter habe legalen Zugang zu den Dokumenten gehabt, diese auf Papier kopiert und mit nach Hause genommen. BND-Mitarbeiter dürften beim Verlassen des Abeitsplatzes nicht kontrolliert werden.

Bei dem erst am Mittwoch bekannt gewordenen Spionageverdacht gegen einen Mitarbeiter des deutschen Verteidigungsministeriums sei die Beweislage - anders als in dem BND-Fall - "äußerst schwierig", sagte Binninger. "Es gilt hier noch viele Fakten zu erhärten."

Schon vor der Entscheidung zum Vorgehen gegen den US-Repräsentanten hatten Regierungsmitglieder ihrer Verärgerung über die USA in bisher ungekannter Offenheit Ausdruck gegeben. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte im Sender Phoenix über die US-Spionage: "Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen." Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) bedauerte, für eine "lächerliche" Ausbeute an Informationen nähmen die USA eine Beschädigung der Beziehungen zu Deutschland in Kauf.

Steinmeier soll Kerry treffen

Der deutsche SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein US-Kollege John Kerry werden sich nach Angaben der Regierung in Washington bald über die Spionageaffäre austauschen. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki sagte am Donnerstag, sie erwarte, dass Kerry und Steinmeier "in den kommenden Tagen" die Möglichkeit zu einem Gespräch haben werden. Psaki erklärte, dass die US-Regierung mit Deutschland "eine Reihe von Diskussionen" über "diplomatische Kanäle" führe, um die Angelegenheit zu klären.

Zu den Spionagevorwürfen selbst nahm das Außenministerium in Washington erneut keine Stellung. Auch die Entscheidung der Bundesregierung, den obersten Vertreter der US-Geheimdienste in Deutschland zur Ausreise aufzufordern, kommentierte Psaki nicht. Wie schon zuvor das Weiße Haus sprach das Außenministerium lediglich von "Berichten" über die geforderte Ausreise, obwohl dieser Schritt von deutscher Seite offiziell bekannt gegeben worden war.

Psaki wies die Darstellung zurück, dass die USA ihre Verbündeten bespitzelten. Außerdem erinnerte sie an die "intensive Überprüfung" der Geheimdienstarbeit, die Präsident Barack Obama nach den Enthüllungen zu den Überwachungsprogrammen der NSA im vergangenen Jahr angeordnet habe. Dabei seien "neue Prinzipien" eingeführt worden, sagte sie.

Affäre errreicht US-Kongress

Mit einigen Tagen Verzögerung hat der Spionagestreit auch den Kongress in Washington erreicht. "Ich bin zutiefst besorgt", sagte die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Senat, die Demokratin Dianne Feinstein, am Donnerstag über die Affäre. Feinstein deutete an, dass der Ausschuss bei seiner Sitzung am Donnerstag erneut über die Hintergründe unterrichtet werde. CIA-Chef John Brennan hatte den Ausschuss nach Angaben von Senatoren bereits in den vergangenen Tagen in Kenntnis gesetzt.

Kongressmitglieder beider Parteien forderten im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP die Regierung von Präsident Barack Obama zum Handeln auf. "Die Situation fängt an, außer Kontrolle zu geraten", sagte der republikanische Senator Jim Risch, der ebenfalls im Geheimdienstausschuss sitzt. "Die Regierungen beider Länder müssen sich an einen Tisch setzen und versuchen, das zu lösen."

NSA-AFFÄRE Im vergangenen Juni kam ans Licht, dass der US-Geheimdienst NSA im großen Stil international Daten abschöpft und Kommunikation überwacht - auch in Deutschland. Nach den Enthüllungen durch den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden spähen die Geheimdienstler in riesigen Ausmaßen Internetnutzer aus, zapfen Glasfaserkabel an, belauschen Telefongespräche und speichern Bewegungsdaten von Handys. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Affäre, als bekannt wurde, dass die National Security Agency (NSA) über Jahre auch das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abhörte.

SPIONAGEVERDACHT BEIM BND Ein mutmaßlicher Spion beim deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) soll 218 Dokumente an US-Geheimdienste weitergegeben haben. Die 31 Jahre alte Hilfskraft soll unter anderem für das Einscannen von Dokumenten und die Ausgabe von Funkgeräten zuständig gewesen sein. Der Mann hat seine Tat gestanden und sitzt seit vergangener Woche in Untersuchungshaft. Über einen Zeitraum von zwei Jahren soll er 25.000 Euro für seine Dienste kassiert haben.

SPIONAGEVERDACHT IM VERTEIDIGUNGSMINISTERIUM Ein mutmaßlicher Spitzel im Verteidigungsministerium hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Er soll in der politischen Abteilung tätig gewesen sein, die strategische Entscheidungen der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorbereitet. Allerdings gibt es bisher nur Indizien dafür, dass der Mann tatsächlich ein Maulwurf amerikanischer Geheimdienste war. Weil kein dringender Tatverdacht besteht, wurde er auch nicht festgenommen. Welche Informationen er an die Geheimdienste weitergegeben haben soll, ist noch völlig unklar.

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