Detroit: Wie eine US-Metropole aus Ruinen aufersteht
Ein weißer Mann im mittleren Alter, der in der Dämmerung durch die Gassen spaziert, um sich Häuserruinen anzuschauen: Man kann kaum mehr auffallen im East Village von Detroit. Wenig überraschend dauert es nur ein paar Minuten, bis sich ein Auto genau zwischen mir und einem der verfallenen Häuser einbremst.
Wirklich überraschend aber ist dann die erste Frage, die mir der betont gepflegt gekleidete Mann am Steuer stellt: „Wollen Sie das Ding kaufen?“ Und ehe ich so recht darüber nachzudenken beginnen kann, bekomme ich eine sehr kurze und ebenso einprägsame Schilderung des Immobilienmarkts der Stadt: „So billig wie jetzt kriegen Sie es nie wieder. Maximal 20.000, und sie sind nicht der erste Weiße, der hier jetzt was kauft.“
Die Krise ausgesessen
So eilig ist es wohl noch nicht in diesem verfallenen Viertel, kaum zehn Autominuten vom Zentrum von Detroit entfernt. Jedes zweite Haus ist hier noch eine Ruine, offensichtlich vor Jahren verlassen. Charles, so heißt der Immobilien-kundige Autofahrer, ist einer der wenigen örtlichen Bewohner, die trotz der Krise hier im Viertel ausgeharrt haben. Dank eines Jobs im Öffentlichen Dienst und einer Ehefrau mit sehr viel Geduld.
Noch sind die Preise günstig
Die, erzählt Charles, wollte eigentlich längst weg, schon wegen der Kinder. Doch als die Polizei begann, das Viertel nachts zu meiden, hätten sich die Nachbarn zusammengetan, um zu patrouillieren und die Banden abzuschrecken, die die leeren Häuser systematisch plünderten. Inzwischen aber ziehen immer mehr Menschen wieder in die Stadt, kaufen die Häuserruinen und renovieren sie. Wo sonst kann man in einer US-Großstadt so günstig im Grünen wohnen?
Business mit Bäumen
Und noch ein zweiter Geschäftszweig floriert im East Village gerade: Baumschulen. Firmen wie „Hantz Tree Farm“ haben Ruinen aus dem Weg geräumt und pflanzen Bäume auf den freien Arealen. Baumzucht inmitten einer Großstadt, der billige Grund macht’s möglich.
Dass der nicht mehr lange so billig sein wird, merkt man nur ein paar Gassen weiter. Auf jedem Schritt durch Detroits derzeit hippstes Viertel, Cass Corridor, stößt man auf neue Geschäfte, von der Modeboutique bis zum Gemüse-Smoothie-Imbiss. In viele der so lange verwaisten Geschäfte sind jetzt Start-up-Firmen eingezogen. In den Auslagen kann man die neuen Bewohner beim Fahrrad reparieren oder Handy-App programmieren beobachten.
Die günstigen Mieten, die kaputte, aber immer noch vorhandene Großstadt-Infrastruktur, die Industrie: All das erzeugt einen sozialen Sog, wie es ihn in dieser Heftigkeit wohl nur in den USA gibt. Zuerst seien die Künstler und Studenten gekommen, erzählt man mir in den Straßencafés am Eastern Market. Der Bauernmarkt, auf dem es vor ein paar Jahren gerade einmal ein paar schäbige Imbissstände gab, ist an Wochenenden der Treffpunkt für Detroits neue, junge Stadtbevölkerung. Hier gibt es alles von alten Schallplatten bis zu sündteuren Bio-Äpfeln, und dazu ein buntes, lärmendes Gedränge, das New Yorks East Village spießig aussehen lässt.
Jobs weg, Menschen weg
Sieben Jahre ist es her, dass Detroit bankrott ging. Ein Milliardengrab historischer Dimension. Nie zuvor war eine US-Stadt dieser Größe einfach kollabiert. Die ehemalige Metropole der US-Autoindustrie („Detroit, Motor City“) war am Ende. Die Jobs waren weg, und bald auch die Menschen.
Übrig blieb, wie so oft in den USA, die arme afroamerikanische Bevölkerung. Detroit ist bis heute die „schwärzeste“ Stadt Amerikas, mehr als 80 Prozent der Einwohner sind Afroamerikaner. Viele von ihnen, die diese Katastrophenjahre in Detroit ausgeharrt haben, sind jetzt von neuem bedroht – durch den Wirtschaftsaufschwung.
Mit dem Ansturm neuer Bewohner in vielen Vierteln der Stadt steigen nicht nur die Mieten rasant, sondern auch der Wert der Grundstücke – und damit die Steuern.
„Die Leute werden quasi aus ihren Wohnungen hinausgesteuert“, schildern die Sozialarbeiterinnen Hannah und Laura die Situation. Innerhalb weniger Monate würden die Wohnkosten für viele sozial schwache Mieter unbezahlbar. Zusätzlicher Druck komme von den Hauseigentümern, die die alten Mieter rasch draußen haben wollen, um die Wohnungen teurer loszuwerden. Da werde dann das Wasser abgesperrt, oder der Strom, oder nicht einmal mehr die dringendsten Reparaturen durchgeführt.
Schicke Restaurants
Die Stadt unterstütze viele dieser Projekte und ihre Bauherren auch noch, ärgern sich die beiden Sozialarbeiterinnen: „Die werden belohnt und die sozial Schwachen werden rausgeschmissen.“ Die ganze Entwicklung würde bei dem rasanten Tempo mehr Menschen schaden als Nutzen bringen.
Wie rasant dieses Tempo in Detroit tatsächlich ist, kann man entlang einer Straße erleben. Die Michigan Avenue beginnt mitten im Zentrum, dort, wo sich die Wolkenkratzer, die so lange leer gestanden sind, allmählich wieder mit Luxus-Geschäften, Restaurants und Büros füllen. Abends kommt es dann zu einer seltsamen sozialen Kollision: An den Ecken die Obdachlosen, die hier immer noch ihr Quartier aufschlagen, doch an ihnen vorbei rollen die dicken Autos der neuen Bewohner, die jetzt abends die schicken Restaurants und Bars frequentieren. Einige der Obdachlosen verdienen sich inzwischen ein bisschen Geld, in dem sie Gratis-Parkplätze für die Restaurant-Besucher ausfindig machen.
Vom Stadtzentrum führt die Michigan Avenue durch ein Viertel für Studenten und Künstler. Die Häuser sind dort eher provisorisch repariert, neue vegane Fast-Food-Läden sehen so aus, als könnten sie auch so rasch wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Hier aber lebt die Stadt, bummeln junge Leute über die Straßen, und auf den noch nicht wieder belebten Auslagenfenstern kleben Werbezettel für Yoga-Kurse, Wohngemeinschaftszimmer und Jobs für Fahrradboten.
Von hier an beginnt der Verfall entlang der Michigan Avenue. Wenn es jetzt noch Geschäfte gibt, dann sind es Ein-Dollar-Shops, Fast-Food-Ketten oder Pfandleiher. Die meisten Häuser stehen leer.
Wer untertags zu Fuß unterwegs ist, hat entweder einen Kampfhund, einen Vollrausch oder zumindest einen Blick, der einem Fremden sagt, dass er hier sicher nicht willkommen ist.
Das Detroit der Ruinenstraßen beginnt hier und es setzt sich in allen Straßen und Gassen der Gegend fort. Wenn hier etwas Neues wächst, dann sind es die Bäume von Baumschulen wie „Hantz Tree Farm“. Doch auch dort weiß man, dass man bald auch in diesen Gegenden nicht nur mit Bäumen Geld verdienen kann, wie ein Sprecher der Baumschule mit entwaffnender Ehrlichkeit deutlich macht: „Die Bäume sind eine Langzeit-Investition, doch wenn jemand früher kommt und den Grund für was anderes braucht, verkaufen wir ihn gerne und machen so unser Geld.“
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