Der Letten Blick nach Moskau

Sowjetnostalgie: Die große russische Minderheit in Lettland feiert jährlich den Sieg Moskaus über die Nazis. Sie sehen sich als Teil Russlands
Der Ex-Sowjetstaat mit vielen russischen Bewohnern beobachtet Moskau genau – und rüstet auf.

Rigas Altstadt, an einem Tag im August: Durch die engen Gassen ziehen große Gruppen von Menschen – Passagiere der Kreuzfahrtschiffe, die vor allem im Sommer die ehemaligen Hansestädte an der Ostseeküste ansteuern. So auch Riga, Lettlands Hauptstadt. Fremdenführer weisen den Weg zu den Sehenswürdigkeiten. Rigas Zentrum ist voll davon, man kann die lebhafte Geschichte der Stadt, die viele Kriege und Besatzer erlebt hat, regelrecht spüren.

Die Einheimischen kümmert das kaum, für sie zählt die Gegenwart: die bewältigte Wirtschaftskrise, der zu Jahresbeginn eingeführte Euro, zehn Jahre in NATO und EU – sowie der Konflikt des "Westens" mit Russland.

"Abgekapselt"

Der Letten Blick nach Moskau
epa04198537 A World War II veteran attends the Victory Day celebrations in Riga, Latvia, 09 May 2014. Close to 100,000 people traditionaly celebrate Victory Day to commemorate the Soviet defeat of the Nazis in Riga every year. EPA/VALDA KALNINA
Wobei: Der Begriff Letten ist irreführend, denn die Gegenwart, das ist auch die problematische Lage der großen russisch-sprachigen Minderheit, die durch die Ukraine-Krise wieder Thema ist. 560.000 Menschen, 27 Prozent der 2,1 Millionen Einwohner, sind Nachfahren jener Russen, die in der Zaren- und später Sowjetzeit angesiedelt wurden, um die Bevölkerung zu russifizieren.

Mehr als 300.000 davon sind auch 23 Jahre nach der Wende nicht richtig angekommen. Sie sind keine Staatsbürger, wenn oft auch freiwillig. Als "Nichtbürger" haben sie keine politischen Rechte. Während das offizielle Lettland davon spricht, dass sich alle Russen dennoch als Teil des Landes betrachten, beschreibt die bestens informierte Fremdenführerin und Dolmetscherin Anda Spigule die Lage differenzierter. Die Nachfahren von in der Zarenzeit angesiedelten Russen seien zwar oft "demokratischer als die Letten", sagt Spigule dem KURIER. "Die Russen, deren Vorfahren zur Sowjetzeit angesiedelt wurden, leben dagegen wie abgekapselt."

Dabei spiele die von den ethnischen Letten noch nicht verarbeitete sowjetische Okkupation (1944 bis 1991) eine Rolle. Während dieser wurden Zehntausende Letten deportiert oder ermordet.

Bisher gab es keine separatistischen Tendenzen in Lettland, allerdings traut die rechtsliberale Regierung dem Frieden nicht – und gießt darüber hinaus Öl ins Feuer der gegenseitigen Ablehnung. Sie änderte die Verfassungspräambel: War früher von der "Bevölkerung Lettlands" die Rede, heißt es nun "Lettische Nation." Im Mai gab die Regierung eine umstrittene Studie in Auftrag, die die Stimmung der Russischsprachigen erheben soll. Veröffentlicht sollen die Ergebnisse nur werden, wenn "keine Staatsinteressen berührt werden".

Berichte, wonach "Nichtbürger" und russischsprachige Letten an der Seite der Separatisten in der Ostukraine kämpfen, haben die Regierung alarmiert: Alle solchen Personen würden strafrechtlich verfolgt, notfalls würden dafür Gesetze geändert.

"Zittern nicht vor Angst"

Dass Russland irgendwann nach dem Baltikum greifen könnte, wie im heurigen März nach der ukrainischen Krim, ist ein Thema im Land. "Es ist aber nicht so, dass wir vor Angst zittern", sagt Spigule. Wenn die Welt aber weiter zulasse, dass Russland Territorium an sich reiße, "ist das Baltikum als Nächstes dran. Die träumen schon immer von uns".

Die NATO-Mitgliedschaft sehen die Letten, wie die beiden anderen Baltenstaaten Estland und Litauen mit 26 bzw. sechs Prozent Russischsprachigen, als gewissen Schutz. Doch, wie Spigule über die Beistandspflicht innerhalb des Bündnisses bemerkt: "Dass etwas vereinbart wurde, heißt nicht, dass es eingehalten wird."

Weshalb Riga vorbaut: Bis 2020 soll das Verteidigungsbudget von 0,91 Prozent des BIP auf zwei Prozent mehr als verdoppelt, neue Luftraumüberwachungs- und -abwehrsysteme angeschafft werden.

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