Kurden dem Erzfeind preisgegeben: "Keine Freunde, außer die Berge“
Der Krieg in Syrien steht einmal mehr vor einem Wendepunkt. Was sich anbahnt, ist ein breit angelegter Einmarsch der Türkei in Nordsyrien. In der Nacht auf Montag zogen US-Verbände aus der Region ab. Knapp zuvor hatte US-Präsident Trump dem türkischen Präsident Erdoğan in einem Telefonat grünes Licht gegeben. Die Aktion werde demnächst beginnen, hieß es in einer Nachricht des Weißen Hauses.
Das erklärte Ziel derselben: Der über Jahre engste Verbündete der USA in Nordsyrien im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Konkret, die Allianz der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), in denen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG die dominierende Rolle spielen. Die Türkei betrachtet die YPG als syrischen Ableger der linken kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrorgruppe. Bisher war es die Präsenz der USA in der Region, die einem Einmarsch der türkischen Armee im Weg gestanden hatte. Die USA wollen zudem, dass sich von nun an die Türkei um gefangene IS-Kämpfer kümmert, die sich in Gefangenschaft der Kurden befinden.
Hinfällige Einigung
Seit Jahren hatte die türkischer Führung immer wieder ihren Wunsch geäußert, in Nordsyrien eine „Sicherheitszone“ zu errichten. Erst im August hatten sich die USA, die Türkei sowie die Kurden in Syrien auf die Einrichtung einer solchen Zone geeinigt. Es gab gemeinsame Patrouillen, vor allem aber schliffen die SDF Verteidigungspositionen an der Grenze. Durch den Deal sollte die Türkei von ihren lange geäußerten Invasionsplänen abgebracht werden.
Im Wortlaut Ankaras ist das Ziel der jetzt angekündigten Invasion, die Region von Terrorgruppen zu säubern und eine Zone einzurichten, in der syrische Flüchtlinge angesiedelt werden können. Als Terrorgruppe bezeichnet Ankara in diesem Zusammenhang vor allem die YPG. Es waren aber die syrischen Kurden, die es in den vergangenen Jahren geschafft haben, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen – und dadurch Flüchtlingen in relevanter Zahl die Rückkehr zu ermöglichen.
Unmittelbar dürfte es das Ziel Ankaras sein, der kurdischen Selbstverwaltung in der Region ein Ende bereiten. Die Befürchtung Ankaras: Eine kurdische Autonomie im Norden Syriens könnte Beispielswirkung für kurdische Gebiete in der Türkei haben. Die syrischen Kurden wittern aber vor allem auch einen langfristigen Plan: Den, über die Ansiedelung von Flüchtlinge in dem Gebiet, die Region dauerhaft demografisch und ethnisch zu verändern. Anlass zu dieser Befürchtung bietet vor allem die türkische Invasion in Afrin 2018. Dort war es nach der Offensive zu schweren Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen.
Sprecher der SDF sowie der kurdischen Verwaltung in der Region beschworen in Stellungnahmen jetzt ihren Verteidigungswillen. Einer türkischen Invasion werde man sich entschieden entgegenstellen, hieß es in Stellungnahmen. Die Rede ist von offenem Krieg. Durch den Abzug der USA werde die Region in ein Schlachtfeld verwandelt. Auch drohe der IS wieder zu erstarken. Und in Richtung der USA hieß es: Man habe sich an alle Vereinbarungen gehalten, während sich die USA aus der Verantwortung gezogen hätten.
Und wie ein anonymer Kurde sagt: „Wir haben keine Freunde, außer die Berge.“
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