Für die ölfördernden Staaten dabei besonders schwierig: Bei einem Ölpreis von rund 40 bis 45 Dollar pro Barrel (Fass zu je 159 Liter) werden die Einnahmen heuer nur noch rund die Hälfte des Vorjahres betragen. Und sie werden, wie Ölanalysten erwarten, wohl nie mehr lichte Höhen wie hundert Dollar oder darüber erreichen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Klimawandel die Staaten weltweit dazu zwingt, sich von fossilen Energiequellen abzuwenden und alternative Energiegewinnung zu forcieren.Vom reichen Saudi-Arabien bis hin zum mühsam stabil gehaltenen Algerien stehen alle arabischen Ölförderländern damit vor derselben Frage: Welchen Preis für Öl braucht es, um den sozialen Frieden im Land zu erhalten? "De facto schafft das beim derzeitigen Ölpreis kein einziger Staat", sagt Energieexperte Andreas Goldthau (Willy Brandt School of Public Policy, Universität Erfurt).
Um Beschäftigung, sozialen Frieden und die militärische und Überwachungsmaschinerie dieser Länder aufrecht zu erhalten, benötigen sie für ihre Budgets jeweils unterschiedlich höhe Ölpreise. "Für Saudi-Arabien liegt er nach Schätzungen des IWF bei 76 Dollar. Der Irak bräuchte einen Ölpreis von 60 Dollar, Bahrain braucht 100, Algerien 160 und der Iran (kein arabisches Land, Anmkg,) würde sogar knapp 400 brauchen. Die Frage ist: Wie lange halten die Länder das durch? Wie lange bleibt der soziale Frieden aufrecht bei einem Ölpreis, der vielleicht wie im Fall Algeriens bei einem Viertel dessen liegt, den das Land braucht?", gibt Goldthau zu bedenken.
Saudi-Arabien, mit seinen riesigen Fremdwährungsreserven, könne die kommenden Jahre locker durchstehen, weiß der Transformationsforscher. Algerien griff zu einer drastischen Maßnahme und halbierte kurzerhand heuer sein Budget – die zu erwartendenden Proteste sind nur noch eine Frage der Zeit.
Im Irak stehen Unruhen, wütende Aufstände und brodelende Instabilität bereits auf der Tagesordnung. "Was passiert, wenn ein Sozialvertrag eines Landes bricht, sieht man gerade in Venezuela", sagt Goldthau im Gespräch mit dem KURIER. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt würde einen Ölpreis von 200 Dollar benötigen – unerreichbar.
Ein weiterer Kandidat für drohende, massive interne Verwerfungen eines Petrostaates ist der riesige afrikanische Petrostaat Nigeria.
Die unausweichlichen Veränderungen der globalen Energiewende vor Augen haben die reichen Golfstaaten indessen längst ihre Reformstrategiepläne ausgearbeitet. Doch sie alle "kommen zu spät und reichen bei weitem nicht aus", glaubt Experte Goldthau. "Alle Golfstaaten beginnen ihre Produktion zu diversifizieren, steigen von der Rohproduktion in die verarbeitende Produktion des Ölsektors um. Aber das ist keine resiliente Strategie für die Zeit nach der Dekarbonisierung."
Eine Weltwirtschaft ohne Erdöl werde es in absehbarer Zeit ohnehin nicht geben, glaubt Andreas Goldthau. "Auch 2050 werden wir einen Ölmarkt haben, und zumindest Saudi-Arabien wird weiter mitspielen."
Dann mögen die Ölreserven vieler anderer ölfördernder Länder bereits erschöpft sein, aber auf einen Verbündeten wird das saudische Königshaus dann noch immer zählen können: die Vereinigten Staaten von Amerika. "Wenn sich die USA aus der Golfregion zurückziehen, würde China das Vakuum füllen", ist Transformationsforscher Goldthau überzeugt. "Dann würde China die Ressourcen der Region steuern und die weltweiten Handelsströme über die Straße von Hormus kontrollieren. Der Ölhandel wäre ein Teil dessen. Und das will man China keinesfalls überlassen."
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