Aber ein Teil der Intellektuellen und der Gesellschaft in Deutschland versteht nicht, was es bedeutet, für seine Freiheit zu kämpfen. Die Ukrainer tun das: Sie wollen nicht unter Putin leben.
Aber verstehen Sie die Forderungen, dass man den Krieg nicht in die Länge ziehen soll – zumal das auch uns hart trifft: Vom Gasmangel bis zur steigenden Inflation?
Diejenigen, die das sagen, signalisieren: Die Ukrainer sollen sich Putin unterwerfen, damit wir weiter gut leben können. Ob der Krieg länger dauert oder nicht, hängt von den Ukrainern und Putin ab. Und nicht von unserer Befindlichkeit. Hätten die Amerikaner und die Kanadier im Zweiten Weltkrieg gesagt: Also, man muss den Krieg beenden und Hitler soll die Macht über Europa behalten. Wo wären wir dann gelandet? Die Landung der Alliierten in der Normandie hat den Krieg verlängert. War das falsch?
Warum sind es die deutschen Grünen, die sich so vehement dafür einsetzen, dass Waffen in die Ukraine geliefert werden? Wo ist der Pazifismus der Grünen hin?
Diese Umkehr kam schon vor Jahren. Ich war Anfang der 90er-Jahre für eine Intervention gegen Serbien in Bosnien-Herzegowina. Die Mehrheit der Grünen war dagegen. Aber nach Srebrenica hat sie verstanden, dass man manchmal Krieg führen muss, um Menschen zu schützen oder zu retten. Deswegen ist es logisch, dass man die Ukraine heute unterstützen will, mit allen Waffen, die sie braucht, damit sie nicht unter der Herrschaft von Putin leben muss. Es ist ihr Recht, für ihre Freiheit zu kämpfen. Es ist unsere Pflicht, sie zu unterstützen.
Haben Sie Ungarns Premier Orban gehört, der meint, Europa solle sich raushalten, es liege an den USA und Russland, zu verhandeln?
Welches Recht hätten die USA über die Köpfe der Ukrainer hinweg Verhandlungen zu führen? Alle diese Vorschläge bedeuten, dass man die Unabhängigkeit, die Selbstständigkeit der Ukraine negiert. Das finde ich ungeheuerlich. Orban hat auch einmal gegen die russische Besatzung gekämpft. Er sollte sich an seine eigene Geschichte erinnern.
Sind wir in Europa dadurch, dass wir Sanktionen gegen Russland beschlossen haben und auch Waffen liefern, schon Kriegspartei?
Im juristischen Sinne nein. Im realen Sinn ja. Wir sind parteilich. Wenn man im Krieg parteilich ist, ist man Kriegspartei. Aber wir sind es nicht in dem Sinn, dass wir Krieg führen. Das wäre ja die nächste Eskalation. Die NATO hat beschlossen, alles zu tun, um die Ukraine zu unterstützen – außer selbst zu intervenieren
Sie haben nicht Sorge, dass dieser Krieg über die Ukraine hinaus gehen könnte?
Das hängt von Putin ab. Klar habe ich diese Sorge auch. Aber Angst essen Seele auf. Vor lauter Angst begeht man Selbstmord. Es gibt eine Rationalität auch im russischen Militär. Die wissen, dass die NATO überlegen ist. Deswegen sind die Drohungen mit Atomwaffen für die Galerie.
Aber das Problem ist ja, dass wir entscheiden müssen: Wollen wir zurück zum Kalten Krieg? Dann sagen wir: Es gibt eine Einflusssphäre der Russen, und dann dürfen sie machen, was sie wollen. Das ergibt Ungarn 1956, Ostberlin ‘53, Prag ‘68 und so weiter. Dann sollen diese klugen Menschen das auch so sagen: „Lieber rot als tot“. Sollen sie gleichzeitig auch in den Osten gehen, um dort zu leben.
Von der Stimmung, die jetzt aufkommt, profitieren doch die Rechtspopulisten ....
Ja, weil wir Gesellschaften haben, die feige und egoistisch sind. Aber dieses Problem haben wir nun nicht nur angesichts der Ukraine, sondern auch, was den Klimawandel angeht. Einschränkungen will die Mehrheit der Gesellschaft nicht. Sie sagt: Ja, wir müssen vieles tun gegen den Klimawandel. Aber ich darf nicht davon betroffen sein.
Stichwort Einschränkungen: Der deutsche Minister Habeck sagt knallhart, dass es schwierig wird und ist trotzdem der beliebteste Politiker in Deutschland. Wie ist das zu erklären?
Eine Mehrheit der Menschen ist für rationale Argumentation zugänglich. Wenn jemand das so klar und klug artikuliert wie Robert Habeck, dann sagen sie: Wir sind mit seinen Maßnahmen nicht ganz einverstanden, aber er ist ehrlich. Keiner stellt seine Redlichkeit infrage. Er spricht das aus, was er meint. Das wird in den Umfragen für die Grünen positiv belohnt. Wenn man heute in Deutschland sagt, in drei Jahren kann Robert Habeck Bundeskanzler sein, lacht niemand.
Bei all den Themen, die jetzt am Tisch liegen: Inflation, drohende Verarmung, Klimawandel, Ungerechtigkeit. Da müssten doch die linken Parteien Zulauf haben…
Ja, sie haben zum Teil in Frankreich Zulauf gehabt. Aber die alten Lösungsvorschläge der Linken ziehen nicht mehr. Wenn man etwa in Frankreich einfach glaubt, dass man die Rente ab 60 wieder einführen kann, spürt die Mehrheit, dass das eine unsinnige Forderung ist. Eine immer älter werdende Gesellschaft kann nicht so früh in Rente gehen.
Also entweder sind die Menschen von der Politik so verunsichert, dass sie nach ganz rechts gehen. Wie in Italien und in Frankreich. Oder sie suchen sich Parteien aus, die eine rationalere und realitäts-gerechtere Argumentation vorschlagen.
Sie stehen auf einer schwarzen Liste des Kreml und dürften schon lange nicht mehr nach Russland einreisen. Wie kamen Sie auf die Liste ?
Durch meine Interventionen zu Russland im Europaparlament. Ich war 20 Jahre im Europaparlament und davon acht Jahre Fraktionsvorsitzender der Grünen. In meinen Interventionen war ich nicht gegen Russland, aber immer gegen Putin und gegen seinen Machtapparat. Wer auf dieser Liste schwarze Liste von Russland steht, das sind ehrenwerte Menschen.
Beraten Sie noch den französischen Präsidenten Macron?
Ich habe ihn nie beraten. Ich habe lange mit ihm diskutiert, aber dieser Draht ist seit ein paar Jahren unterbrochen. Weil er sich anders orientiert. Das ist sein gutes Recht. Er hat Entscheidungen getroffen, die ihm eine Mitte-Rechts-Mehrheit bringen.
Und die ökologische, linke Position, die ich vertrete, war ihm nicht wichtig genug, um sich der immer schwierigen, aber intensiven Auseinandersetzung mit mir zu stellen.
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