Der „Emma“-Brief, der Krieg und der Pazifismus

Der „Emma“-Brief, der Krieg und der Pazifismus
Die Stellungnahme ist symptomatisch für die Ratlosigkeit in großen Teilen der Friedensbewegung

In einem offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprechen sich deutsche Prominente gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus und warnen vor einem Dritten Weltkrieg.

Unterschrieben wurde der Brief unter anderem von der Feministin Alice Schwarzer oder dem Schriftsteller Martin Walser. Das zentrale Argument: Putin dürfe nicht zu einem atomaren Erstschlag getrieben werden.

Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Die Gefahr besteht tatsächlich.

Aber wie wahrscheinlich ist dieser Erstschlag? Handelt es sich um Rhetorik und um einen Schachzug, um den Westen zum Nachgeben zu bewegen? Läuft nicht eine Appeasementpolitik Gefahr, genau durch die Haltung des Beschwichtigens den Aggressor noch aggressiver und unberechenbarer zu machen?

Der Brief ist symptomatisch für die derzeitige Ratlosigkeit von großen Teilen der deutschen Friedensbewegung. Manchmal gibt es Leerformeln wie etwa „das Sterben muss aufhören“.

Eine Verzerrung

Das Bild einer aggressiven NATO oder eines kriegslüsternen Westens wiederum ist eine Verzerrung. Manche Behauptungen sind einfach falsch.

So meinen manche, die Ukraine könne diesen Krieg militärisch nicht gewinnen. Sie solle deshalb – so der Philosoph Richard David Precht – klug sein und einsehen, „wann man sich ergeben muss“.

Im Moment sieht es aber eher nach einer Blamage für den Aggressor Russland aus. Es stimmt schon: auch der Irak-Krieg der USA von 2003 war völkerrechtlich ein Verbrechen. Ja, es ist gefährlich, Russland ruinieren zu wollen.

Ein Verhandlungsfrieden sollte Ziel bleiben, nicht eine massive Demütigung Russlands, das immer noch zu Europa gehört. Aber die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung, und andere Staaten eine Pflicht zur Nothilfe, speziell dann, wenn es offensichtlich Kriegsverbrechen auf russischer Seite wie Vergewaltigungen und Ermordungen von Zivilisten gibt.

Es ist da etwas sonderbar, die Angegriffenen bzw. die Opfer belehren zu wollen, bis zu welchem Ausmaß und wie sie sich verteidigen sollen. Und es ist wohl naiv zu erwarten, Putin werde, sollte man ihm die Ukraine überlassen, schon „irgendwie“ wieder eine Rückkehr zur Normalität zulassen.

Auch der Aggressor will Frieden. Er will friedlich in anderen Ländern einmarschieren.

Ein radikaler Pazifismus mit dem Motto „Frieden um jeden Preis“ ist utopisch und moralisch inakzeptabel. Er opfert die Idee der Gerechtigkeit und der Menschenrechte auf dem Altar des Friedens. Der gemäßigte Pazifismus nimmt zur Kenntnis, dass es auch eine Zeit des zulässigen Verteidigungskrieges geben kann.

Er ist idealistisch und strebt eine internationale Friedensordnung an, hält sich aber an das, was machbar ist. Zugegeben: der gemäßigte Pazifismus enthält tragische Elemente.

Er nimmt in Kauf, dass in einem Verteidigungskrieg Menschen getötet, verstümmelt oder ihre Existenzen ruiniert werden. Aber er ist der moralischen Bankrotterklärung der radikalen Pazifistinnen und Pazifisten eindeutig vorzuziehen.

Georg Cavallar ist AHS-Lehrer, Dozent für Neuere Geschichte, Buchautor und Lehrbeauftragter an der Uni Wien.

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