"Da ist einfach alles danebengegangen"
Den Isolationismus der Brexit-Ära hatte er sich darunter sicher nicht vorgestellt. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit kommt. Jetzt spielen auch meine Gedanken ein bisschen verrückt. Soll ich in London bleiben, soll ich weiterziehen? Amerika wär's eigentlich gewesen, ich hab schon um ein Visum angesucht, aber dann kam die Wahl, und das Ergebnis hat mir nicht gerade gefallen."
So wie Niko Haller hat auch die 35-jährige aus Wolkersdorf stammende Londonerin Verena Thim ihr ganzes Berufsleben in London verbracht. Seit elf Jahren arbeitet sie im Web-Support der Methodist Church. "Mein Arbeitgeber ist sehr offen, die sind gegen Brexit und haben sich auch öffentlich gegen jede Art von Diskriminierung ausgesprochen", meint sie. "Ich fühle mich in meiner Arbeitsumgebung sehr wohl. Aber was sich geändert hat, ist, dass ich mich ungut dabei fühle, wenn ich irgendwo gefragt werde, wo ich her bin."
Kein Rückzug
Obwohl sie längst darauf Anrecht hätte, will auch Thim sich keine Aufenthaltsgenehmigung und auch keinen britischen Pass zulegen: "Weil ich Österreicherin bin und nicht mit diesem Plan hierhergezogen bin. In dem jetzigen Klima weiß ich ohnehin nicht, ob mir das im Rest der Welt Vorteile bringt", formuliert sie sarkastisch. Nach mehr als anderthalb Jahrzehnten in London gibt es für sie auch keinen Rückzug in die alte Heimat mehr: "Ich könnte vielleicht woanders hinziehen. Aber auch Österreich wäre für mich ein ,woanders hin‘."
Ähnliche Gefühle bringt Nanni Auer, 47, zum Ausdruck, die vor mehr als 20 Jahren nach London zog und heute mit ihrem britischen Partner und zwei Kindern in der walisischen Kleinstadt Brecon lebt. Dank der Launen der Legislatur ist ihr 11-jähriger Sohn dem Pass nach Österreicher, die 8-jährige Tochter dagegen Britin. "Ich bin keine Patriotin", meint Auer. "Als ich nach London kam, gefiel mir die Weltoffenheit, die dort herrschte, was damals in Österreich einfach nicht der Fall war. Für mich ist Brexit nicht nur ein Ende dieser Akzeptanz anderer Kulturen. Es spiegelt das wider, was sich auf der ganzen Welt abspielt, denn überall scheinen rassistische Gruppen mehr und mehr an Einfluss zu gewinnen."
Anders als Verena Thim kann Auer sich vorstellen, sich aus pragmatischen Gründen einbürgern zu lassen. Sie hat emotionale Bindungen an die Geschichte des Landes. Ihr 2004 verstorbener Vater Georg, ein Motorjournalist, der im KURIER schrieb, war als jüdisches Kind 1938 mit einem Kindertransport nach England gekommen, dann als "feindlicher Ausländer" interniert und nach Australien deportiert worden. Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück, um von der Ermordung seiner Eltern zu erfahren. "In England war er bis ans Lebensende verliebt", sagt Auer.
Ans Eingemachte
So wie Nanni Auer hat auch Maria Diemling, eine Universitätsdozentin an der Christchurch University in Canterbury, eine 8-jährige Tochter, allerdings mit britischer und österreichischer Doppelstaatsbürgerschaft.
Die Universität bietet Diemling und ihren Kollegen aus der EU ein zinsfreies Darlehen zur Bezahlung der Einbürgerungsverfahren, "aber ich will's nicht machen", sagt sie. "Es widert mich an, weil mir das Land immer fremder wird." Die Ironie daran: Ihre nach dem Krieg nach Großbritannien gezogenen Verwandten hätten geschlossen für Brexit gestimmt. "Das sind unglaublich nette Leute, die in Österreich Speck kaufen und Gräber der Vorfahren besuchen, aber die einschlägigen Zeitungen lesen und die ganze Brexit-Propaganda aufgeschnappt haben."
Ihre Kollegin Heide Kunzelmann, eine Dozentin an der University of Kent, leitet seit 2012 das Londoner Ingeborg Bachmann Centre for Austrian Literature. Sie macht sich um ihren persönlichen Status weniger Sorgen als um das britische Hochschulwesen: "An britischen Unis arbeiten 32.000 nicht-britische Akademiker, das sind 17 Prozent. Die Unis werden alles tun, um diese Leute zu halten. Aber die Auswirkungen auf unsere ausländische Studentenschaft sind bedrohlich. Das britische System stützt sich auf Rekrutierung von Studenten aus Europa, da geht’s schon ans Eingemachte."
"Wenn ich an Dinge wie Weltfrieden und Flüchtlinge denke, dann ist Brexit 180 Grad falsch", sagt Malnig. "Es war die falsche Antwort auf die falsche Frage. Da ist einfach alles danebengegangen."
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