Für den simplen Wahlbetrug reichen gefälschte Stimmzettel oder Wählerlisten mit Namen von längst Verstorbenen. Stimmenkauf oder Drohungen in und außerhalb der Wahlkabine fallen auch in diese Kategorie. Das hat nichts mit der subtilen Wahlbeeinflussung zu tun, die heute auch dank
Facebook, Twitter,
Instagram & Co möglich ist.
Cyberangriffe und Datendiebstahl stehen ebenso auf der Tagesordnung wie gezielte Fake News, Trolle und „Bots-Systeme“, also zusammengeschlossene Computer, die zeitgleich in sozialen Medien die gleichen Geschichten schicken und lancieren. „Bei Bots-Systemen funktioniert alles voll automatisch und kann auch über Computer laufen, deren Besitzer davon überhaupt nichts wissen“, gibt Reinhard Heinisch zu bedenken. Von diesen Netzen soll es Tausende geben.
„Die sozialen Medien haben die Möglichkeiten der gezielten Meinungsmanipulation explodieren lassen“, sagt der Politikwissenschafter von der Universität Salzburg. Und dieses Instrumentarium steht allen zur Verfügung, die ein Land, ein politisches System, eine Gesellschaft destabilisieren wollen. „Die Strategie ist einfach und immer gleich: Bereits bestehende Spaltungstendenzen werden bewusst verstärkt, Dissens geschürt.“
Am Beispiel der Ukraine, wo russische Akteure das bis zur kriegerischen Spaltung des Landes durchexerziert haben, lässt sich die Methode – gesteuert von einer fremden Staatsmacht – sehr gut nachvollziehen.
Auch im US-Wahlkampf 2016 hatte Russland seine Finger im Spiel.
Donald Trumps Russland-Kontakte sind ebenso belegt wie russische Cyberangriffe und Trolle. Im Visier hatten diese vor allem Kirchgänger und Militärangehörige, deren Vertrauen in Hillary Clinton erschüttert werden sollte. Eine Taktik, die auch Trumps Wahlkampfmanagement einsetzte. Es zeigte der Welt, was mit Daten von Facebook alles möglich ist, auch dank der Dienste von Cambridge
Analytica, das vermeintliche Spaß-Umfragen einer App auf Facebook für psychologische Profile von 87.000 Facebook-Nutzern erstellte.
Diese dienten wie die 220 Millionen Profildaten von US-Bürgern die Grundlage für die Propaganda-Arbeit der Social-Media-Profis: Sie fluteten weiße Liberale, junge Frauen und Afroamerikaner – drei demographische Gruppen, in denen mit besonders hoher Unterstützung für Clinton gerechnet wurde – mit Nachrichten, die ihr schadeten. Ein ranghoher Trump-Berater bestätigte das später dem Magazin Bloomberg Businessweek.
Innerhalb der EU bekommt vor allem das Baltikum die Wucht der von Moskau dirigierten Desinformation, Fake News und Hackerangriffen zu spüren. Angriffsfläche bietet die jeweilige russische Minderheit in Estland, Lettland und Litauen. Mittlerweile gibt es eigene Sendungen, in denen Nachrichten, die aus Russland kommen, präsentiert und auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden.
Es bedarf nicht unbedingt ausländischen Akteure, um ein Land zu spalten. Vor allem Populisten verstehen sich auf dieses gefährliche Spiel, Beispiele dafür gibt es in Europa genug: Matteo Salvini in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, die deutsche AfD und auch die FPÖ. Allesamt stehen im Verdacht, von Russland Geldspritzen erhalten zu haben; bei Le Pen ist es bewiesen. Ihnen allen eigen ist auch die Konzentration auf eigene Medienkanäle und soziale Medien; die AfD hat den Nazi-Sprech der Verleumdung etablierter Medien als „Lügenpresse“ wieder in Umlauf gebracht.
Die wachsende Polarisierung sei hochriskant, warnt
Heinisch: „Die große Gefahr für die Demokratie ist, dass du das politische Zentrum verlierst, das Kompromisse schließen kann. Dann blockiert sich das System selbst, Demokratien verlieren ihr Standing. Dann bieten sich Populisten als radikale Lösungsmodelle an.“
Der Politologe nennt die Eskalationsstufen, die in „alten“ und „neuen“ Medien zu beobachten seien:
1. Stufe: die Mobilisierung.
Nachrichten bekommen einen neuen „Rahmen“. „Zum Beispiel wird aus der Nachricht, die Flüchtlinge sind arm und ertrinken auf der Flucht, die neue Erzählung: die Flüchtlinge sind eine Bedrohung.“
Im Internet kommt dazu, dass durch Algorithmen automatisch immer mehr Beiträge zur neuen Erzählung geliefert werden. Hohe Klickzahlen sorgen dafür, dass stets neue Beiträge zum Thema in neuen wie alten Medien angeboten werden, da sich die Menschen offensichtlich dafür interessieren.
Das ist ein Aspekt von Trumps Aufstieg vom politischer „Underdog“ zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten und zum US-Präsidenten: Er war im Gegensatz zu seinen Gegenspielern neu und überraschte. Online-Artikel zu Trumps Eskapaden brachten Klickrekorde, die Medienmacher, auch von Print, reagierten darauf. Findige Geschäftemacher im Internet verdienten mit steigenden Werbeeinschaltungen dank Trump ebenfalls viel Geld.
Heinisch weist auf einen wissenschaftlich untersuchten Effekt hin, der als Verstärker dient: „Menschen, die inkompetent sind, erkennen ihre Inkompetenz nicht. Das heißt, je weniger jemand von etwas weiß, umso eher glaubt er die Artikel, Beiträge, Postings – und das erst recht, wenn diese die bestehende Meinung verstärken. Im nächsten Schritt sorgt der Mensch für die weitere Verbreitung der Belege seiner Meinung, dank sozialer Medien ein Kinderspiel. In seiner „Blase“ verstärkt das erneut die Meinung der Gruppe.
2. Stufe: die Immunisierung.
Die Akteure im Kampf um die Meinungshoheit nutzen die bestehende Spaltung der Gesellschaft aus und immunisieren „ihre“ Gruppe für Gegenargumente: „Du gehörst zu uns, was die anderen sagen, nämlich das und das, darfst du nicht glauben“, sagt Heinisch.
3. Stufe: die Radikalisierung.
Die Beeinflussung mit emotionalen Appellen und Verschwörungstheorien nach dem Schema, „alle anderen sind böse, schlimmer“.
Zu den Verschwörungstheorien zählt Heinisch auch die Diffamierung der unabhängigen Medien als „Lügenpresse“, die mit den etablierten Parteien unter einer Decke stecke. Auf diese Weise verlieren sowohl die demokratisch legitimierten Parteien als auch die Medien als „Vierte Macht“ und Kontrollinstitution im Staat ihre Glaubwürdigkeit.
Trump ist Großmeister darin. Von ihm verachtete Zeitungen wie die New York Times oder Washington Post verzeichnen deshalb große Zuwächse. Noch nie waren gute Recherche und der Grundsatz von, Check-Recheck-Doublecheck, so wichtig wie heute.
„Die Rolle der Medien wird auch in Österreich immer wichtiger. Sie müssen die aktuellste Lügenpropaganda gut recherchiert aufdecken – vermutlich in Konsortien und mit öffentlicher Finanzierung, um den Aufwand zu stemmen“, sagt Heinisch und stellt die Frage in den Raum: „Was sind uns Fakten wert?“
Damit wird es auch noch nicht getan sein: „Es bedarf dringend politischer Bildung und Medienbildung, damit die Menschen viel kritischer Medienberichte jeder Art überprüfen können“, sieht er großen Handlungsbedarf im heimischen Bildungssystem.
Wo es zu Cyberangriffen vor Wahlen gekommen ist
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