Internationale Presse beleuchtet Corona-Krisenmanagement

Internationale Presse beleuchtet Corona-Krisenmanagement
Von vernichtender Kritik an Boris Johnson über Fragen der persönlichen Freiheit und Italien bis hin zu Zukunftsaussichten.

Das Coronavirus und der unterschiedliche Umgang mit der Krise in den einzelnen Ländern dominiert selbstverständlich auch die Kommentare der internationalen Presse.

Hier eine Auswahl renommierter Zeitungen aus Großbritannien, Belgien, Spanien, der Schweiz, den Niederlanden, Russland und Ungarn.

"The Times“ (London)

"Boris Johnson wird wissen, dass die Geschichte ihn danach beurteilen wird, wie er mit dieser beispiellosen Krise umgeht. Die Wahrheit ist, dass seine Bilanz bisher durchwachsen ist. Von Anfang an schien er hinterherzuhinken. Beträchtliche Zeit, die für die Vorbereitung auf die Krise hätte aufgewendet werden können, scheint verschwendet worden zu sein. (...)

Die Zahl der Todesopfer wird steigen und viele werden krank werden. Wenn der staatliche Gesundheitsdienst (NHS) überfordert ist und Ärzte gezwungen sind, Menschen potenziell lebensrettende Behandlungen zu verweigern, wird die Öffentlichkeit möglicherweise fragen, warum Schulen, Pubs und Restaurants nicht früher schließen mussten.

Sie könnten fragen, warum nicht schon vor zwei Monaten Maßnahmen ergriffen wurden, um neue Beatmungsgeräte und Schutzausrüstungen zu bestellen, anstatt damit bis zum letzten Wochenende zu warten. Und wenn die Regierung gezwungen ist, noch strengere Beschränkungen einzuführen, um eine eskalierende Epidemie zu stoppen, werden die Menschen vielleicht fragen, warum dies nicht schon früher geschah, so wie in vielen anderen Teilen der Welt.“

"De Standaard“ (Brüssel)

"Heute sind diese Maßnahmen so durchgreifend, dass sich die Frage stellt, wie wir da wohl jemals wieder rauskommen. Wann werden die Ansteckungszahlen niedrig genug sein, um die Maßnahmen zu lockern? Werden sie erneut rigoros verschärft, wenn die Zahlen wieder steigen? Und sollen wir das so lange durchhalten, bis es in eineinhalb Jahren einen Impfstoff gibt? (...)

Das Problem ist, dass wir bei der Frage im Dunkeln tappen, wie weit das Virus verbreitet ist. Testen, testen, testen ist gleichwohl die beste Methode, um Leben zu retten. Um jene, die infiziert, aber nicht krank sind, zu entdecken und zu isolieren, so dass wir die Überlebenschancen vergrößern und gegen die Ausbreitung des Virus vorgehen. Dass wir darauf trotz der Bilder aus China nicht ausreichend vorbereitet waren, ist schwer zu begreifen. Ähnlich wie die Tatsache, dass wir nicht in der Lage waren, belgische Unternehmen rasch so umzustellen, dass sie das erforderliche Testmaterial herstellen konnten.“

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Erste große Bewährungsprobe für Spaniens Premier Pedro Sanchez

"El Periódico“ (Madrid)

"Die Verlängerung ist ebenso unvermeidlich wie nötig, da die Coronavirus-Epidemie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Die Zahl der neuen Patienten spiegelt Infektionen vor der Umsetzung sozialer Distanzierungsmaßnahmen wider und steigt täglich weiter an. Der Ministerpräsident ist in weniger als 24 Stunden zwei Mal öffentlich aufgetreten (...).

(Pedro) Sánchez leistet dabei einen lobenswerten Beitrag zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Einhaltung der Isolierungsmaßnahmen. Öffentliche Auftritte sind jedoch effektiver, wenn sie auch dazu dienen, neue Initiativen anzukündigen.“

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"Tages-Anzeiger“ (Zürich)

"Offenbar sehnen sich viele nach einer Art wohlmeinendem Diktator, der das Land effizient und selbstlos aus der Krise führt. Er soll möglichst ungestört von konträren Meinungen schalten und walten können, wie er will - und das Volk hat zu gehorchen. Zwar braucht die Regierung in Krisenzeiten tatsächlich mehr Vollmachten als in normalen Zeiten, nur so lässt sich der Stillstand zur Seuchenbekämpfung durchsetzen.

Aber wenn es Bund und Kantone über Jahre versäumen, für genügend Schutzmaterial zu sorgen, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben wäre, wenn Deutschland auf einmal Lieferungen von Masken in die Schweiz aufhält oder wenn die Kantone plötzlich Alleingänge wagen (wie in Uri oder dem Tessin), dann gehört das kritisiert und öffentlich debattiert. Nur so können wir hoffen, dass wir für die nächste Pandemie besser gerüstet sind als dieses Mal.“

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Niederländer sind aufgerufen, eineinhalb Meter Abstand zu einander zu halten

"de Volkskrant“ (Amsterdam)

"Ein Lockdown wird häufig nicht mit medizinischen, sondern mit moralischen Argumenten begründet: Zügellosigkeiten sollen eingedämmt werden. Indem der Aufruf von Bürgermeistern einiger Küstengemeinden, nicht an den Strand zu kommen, befolgt wird und die Aufforderung von NL Alert (das ist das Alarmsystem der niederländischen Regierung), einen physischen Abstand von eineinhalb Metern einzuhalten, Gehör findet, kann sich die Bevölkerung vor einer weiteren Beschneidung der Freiheit schützen.

Die Regierung hat mit der Verkündung eines relativ milden Regimes Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Niederländer gezeigt - auch im Hinblick darauf, dass die Gefahr für viele noch etwas abstrakt ist. Möglicherweise entwickelt sich die Situation in den nächsten Tagen so, dass die Regierung doch eine Ausgangssperre verhängen muss. Hoffentlich ist dann nicht der Ungehorsam zu vieler Niederländer der Grund dafür.“

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Russland beweist ein Herz für Italien und schickt Helfer - und hofft durch Erkenntnisse dort selbst zu profitieren

„Wedomosti“ (Moskau)


"Die Entsendung von russischen Militärärzten und Virologen nach Italien - das bedeutet für Russland eine praktische Erfahrung im Kampf gegen das Coronavirus für den Fall, dass die Epidemie auch das Land erfasst (...) Angesichts der Ausmaße des Problems in Italien ist diese humanitäre Hilfe Russlands keineswegs so gering, als dass sie nur als politisch und symbolisch zu sehen wäre. (...)

Solange das Tempo bei der Ausbreitung der Krankheit in Russland keine Mobilisierung aller Ärzte erfordert, können unsere Mediziner und Spezialisten ganz offensichtlich nützliche Erfahrungen sammeln im Epizentrum der Epidemie.
Und dass der Kreml nach Italien Militärs schickt, zeigt auch die Ernsthaftigkeit der Vorbereitung auf eine mögliche Epidemie in Russland, wenn die von den russischen Ärzten erlangten Erkenntnisse in der Heimat gebraucht werden. So gesehen hilft Italien uns.“

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Militärs in Ungarn. Wohin das Land marschiert, wird genau beobachtet werden

„Magyar Nemzet“ (Budapest)

"Viele sagen, dass die Menschheit nach dem Abklingen der Pandemie das gegenwärtige, globalisierte, lebensfeindliche Wirtschaftsmodell hinter sich wird lassen müssen. Dass sie sich ein System wird schaffen müssen, das sich auf die vor Ort vorhandenen Ressourcen und Güter konzentriert. (...)

Manche gehen davon aus, dass die Nationalstaaten erstarken werden, andere wiederum betonen - oder hoffen es vielleicht nur -, dass sich nach den Verheerungen des Coronavirus die weltweite Zusammenarbeit verstärken wird, dass die Staaten den Weg einer noch stärkeren Vergemeinschaftung einschlagen werden. Wer recht behält, wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weisen.“

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