Corona und Heuschrecken: "Indien hat ein schlechtes Karma"
Die Coronavirus-Krise hat auch Indien voll erwischt: Krankheit, Wirtschaftskrise, Armut – und jetzt auch noch die schlimmste Heuschreckenplage seit 27 Jahren. Offiziell gibt es 167.442 Corona-Fälle, davon 4.797 Todesopfer.
„Ich bin und bleibe Optimist“, sagt der indische Geschäftsmann Suraj Narvekar aus Pune, der 3,1 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des Bundesstaat Maharashtra in Westindien. Geschäfte macht der Indien-Repräsentant des österreichischen Technologieunternehmens Rauch Furnace Technology aus Gmunden derzeit „gleich null“.
Und so geht es den meisten Menschen, die sich zur „mittleren oder oberen Mittelschicht“ im 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Subkontinent rechnen. Staatliche Hilfe gibt es kaum, wer ein Privatunternehmen besitzt, egal ob Werkstatt, Fabrik oder Restaurant, ist auf sich alleine gestellt.
Tracing System
Dazu kommt, dass Indien ein rigoroses Tracing System eingeführt hat, gegen das vor allem die jungen IT-Spezialisten wegen des Datenschutzes Sturm laufen.
Wie in China wird jeder Inder, der ein Handy besitzt, nach seinem Ansteckungsrisiko eingestuft: grün, orange und rot. Auch Betriebe werden in Farben eingeteilt, je nachdem, wo sie liegen. Wenn ein Unternehmen nur die Bewertung orange erhält, dürfen nur 33 Prozent der Angestellten dort arbeiten, bei rot keiner, bei grün die Hälfte.
Jeder Zweite hat kein Smartphone
Das System funktioniert aber praktisch gar nicht, da weniger als die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder ein Smartphone besitzt. Und die jungen IT-Typen machen sich einen Spaß daraus, die App zu manipulieren.
Neben Mumbai gehört auch Pune, früher besser bekannt als Poona, zu den Corona-Hotspots des Landes. „Unsere Straßen sind eng, viele müssen sich eine Toilette oder einen Waschraum teilen“, sagt Suraj Narvekar.
Dennoch: Die indische Regierung fährt das Land wieder hoch. Fabriken sind seit 1. Mai wieder geöffnet. Inlandsflüge sind seit dieser Woche erlaubt, Züge und Busse fahren wieder, auch um das Elend der Wanderarbeiter, in Indien nennt man sie „Migranten“, zu lindern.
Auf dem Marsch nach Hause
Denn Millionen Taglöhner, die in den Großstädten keine Verdienstmöglichkeiten mehr sahen, haben sich mit ihren oft kleinen Kindern zu Fuß auf den „oft Tausende Kilometer langen Heimweg“ gemacht. Suraj Narvekar ärgert sich, dass diese „Menschen ohne Bildung“ nicht in den Städten gewartet haben. Die Regierung hätte für sie Hilfsprogramme aufgelegt und sie gebeten, sich zur Heimreise anzumelden. „Furchtbares Missmanagement“ ortet der Techniker. Die Regierungen der Bundesstaaten waren nicht imstande, Listen anzufertigen, damit man ausreichend Züge und Busse zur Verfügung hätte stellen können.
Nichts sei passiert, und jetzt gingen schauerliche Bilder um die Welt, die die endlosen Karawanen zeigen, die sich entlang von Bahngleisen und größeren Straßen vor allem Richtung Norden bewegen: Hungernd, krank, ohne sauberes Trinkwasser, am Ende ihrer Kräfte.
Sorge um Ernte
Was Suraj Narvekar aber noch größere Sorgen macht, ist die Heuschreckenplage, die von Afrika über Pakistan nun auch Rajasthan erreicht hat und die an sich guten Ernten zunichtemachen könnte. „Die Natur holt sich jetzt alles zurück“, sagt der gläubige Buddhist. „Die Flüsse sind noch nie so sauber gewesen wie jetzt. Aber Corona und Heuschrecken, das ist zu viel. Indien hat ein schlechtes Karma.“
Keine Schule bis Herbst
Suraj Narvekars neunjähriger Sohn geht auf eine Privatschule und macht Homeschooling. „Überhaupt kein Problem sei das.“ Sorgen machen dem Mann aus der Mittelklasse dagegen die öffentlichen Schulen. Sie sollen erst im September wieder aufsperren können, weil in einer Klasse mindestens 40 Kinder, manchmal aber auch 70 oder 80 Schüler sitzen. „Dabei ist Bildung doch das Einzige, was Indien voranbringen kann.“
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