Von Smog zu High-Tech: Wiener Unternehmer spüren Chinas Wandel nach

An den schlechten Tagen konnte man die Hände vor den Augen kaum mehr sehen. Aus 108 Schornsteinen rauchten giftige Abgase. Das riesige Stahlwerk von Shougang, mitten in Peking, war zu größten Teilen verantwortlich dafür, dass eine dunkle Schicht aus Abgasen und Staub die chinesische Hauptstadt eintrübte. Von Wohnungen im 20. Stock aus waren die Straßen unter dem Smog nur noch zu erahnen.
Heute, 15 Jahre später, ist der Himmel über der Megametropole wieder klar, die Luftqualität gut. Das liegt zum einen an den unzähligen E-Autos, die sich trotz konstanter Verkehrsüberlastung emissionsfrei durch die Stadt stauen. Vier Fünftel aller neuzugelassenen Pkw in der chinesischen Hauptstadt müssen jetzt E-Autos sein, erkennbar an den grünen Nummerntafeln.
Wirtschaftlicher Aufstieg Chinas
Entscheidend aber war die Schließung des Stahlwerks. Sinnbildlich stand Shougang, wo bis zu 100.000 Menschen gearbeitet hatten, für den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. 2010 wurde es geschlossen und in Teilen, erneuert und mit einer weniger umweltschädlichen Produktionsweise, in eine andere Provinz 200 Kilometer weg verlegt.
Große Teile des einstigen Stahlriesen aber blieben, wurden jahrelang von Giften und Ablagerungen gesäubert. Sein einstiges Wärmekraftwerk ist heute ein Hotel, in den alten Lagerhallen befinden sich Kunstgalerien, Schulen, hypermoderne Forschungsstätten und Freizeitzentren. Hobbysportler düsen auf allermodernsten Rennrädern vorbei, andere Besucher lassen sich in der Virtual-Reality-Sektion in die Zeit der Ming-Dynastie versetzen. An den rostbraunen Industrieruinen entlang fahren Touristen per Lift hoch. Zu sehen sind von dort oben: stillgelegte Kühltürme, mittendrin Pekings berühmt gewordene Big Air Schanze für die Olympischen Winterspiele 2022, - und vor allem ein ganzes Stadtviertel, das sich neu erfunden hat.

Das geschlossene Stahlwerk Shougang steht sinnbildlich für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg.
"Grüner High-Tech-Bezirk"
„Wir in Shijjingshan sind jetzt ein grüner High-Tech-Bezirk“, schildert der für Investitionen zuständige Direktor der Bezirks, Yang Guang stolz. Bereits 120 KI-Unternehmen haben sich im Industrieparkt Shougang niedergelassen. Yang Guangs Zuhörer sind eine Gruppe Wiener Unternehmer.
Sie alle wollen Kontakte knüpfen, sich über die Chancen am Riesenmarkt China informieren lassen, ausloten, welche Produkte der österreichische Markt noch brauchen könnte. Vor allem Chinas boomender Sektor der Künstlichen Intelligenz interessiert die Delegation des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien. Besonders im Blick habe er, meint der in China bestens vernetzte Wiener Wirtschaftsanwalt Georg Zanger, die Verbindung zwischen KI und Medizin. „Wenn die KI in China schon von außen feststellen kann, ob der Tumor auf der Lunge Metastasen ausstrahlt oder nicht. Wenn man also auf diese Weise sagen kann, ob es eine Chemotherapie braucht oder nicht, dann sollte man das dringend mit den Ärzten in Österreich verbinden.“ Und dabei, meint Zanger, müsse man schnell sein.
Berührungsängste mit der kommunistischen Diktatur? Erst mit Jahresbeginn verschärfte die Führung in Peking unter dem Deckmantel von Sicherheitsvorgaben die Regeln für Investoren. Die Volksrepublik sei einer der wichtigsten Handelspartner Österreichs, meint Zanger. Und dass US-Präsident Trump die ungeliebten Europäer mit Strafzöllen unter Druck setze, lasse China wieder umso näher an die EU-Staaten heranrücken: „Die EU braucht die Kooperation mit China auf Augenhöhe, um im Ringen mit den USA zu bestehen“, sagt der Wirtschaftsanwalt.
Politische Vorgaben bremsen
Die Gegebenheiten für Kooperationen mit China sieht auch KI-Projektentwickler Attila Ceylan, doch politische Vorgaben bremsen auf europäischer Seite ebenso wie auf chinesischer. Ceylan, der etwa an einem KI-Projekt für die Verbesserung von Sprachfehlern arbeitet, kritisiert den AI-Act der der EU: Dieses Gesetzeswerk lasse so vieles in Europa an Entwicklungen und Möglichkeiten auf dem KI-Sektor nicht zu, was andere schon in Angriff nehmen.
Aber auch im großen, neuen Wanjiang-Rechenzentrum in der Hauptstadt der Region Xinjiang lautet die Antwort ausweichend: Man möchte gerne mit Europa zusammenarbeiten, Rechenleistungen exportieren, aber das sei noch nicht möglich. Warum? „Wir brauchen mehr Unterstützung“, heißt es. Von wem, von der Politik? Die Antwort bleibt aus.

Heute beherbergt das ehemalige Werk ein Hotel, Freizeit- und Forschungszentren.
Welt- und Wirtschaftsmacht
Von Peking bis zur westlichsten Region des Landes ist der Stolz darüber, was China innerhalb nur einer Generation geschafft hat, von fast jedem Gesprächspartner sofort zu hören. Der Rote Riese, eine wieder erwachte Welt- und Wirtschaftsmacht. Achthundert Millionen Menschen, die heute der Mittelschicht angehören. Der Umstieg von der Werkbank der Welt in die Hoch-Technologie. Der größte Produzent von E-Autos, von Solaranlagen, das Land mit dem weltweißt größten Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz.
Und doch hat der schwindelerregende Erfolg seinen Preis, die Euphorie im Land ist spürbar verflogen. Die Immobilienpreise haben sich selbst auf dem Land in schwindelerregende Höhen geschraubt. Auch nach Platzen der Immobilienblase lassen sich mit Löhnen und Sparen allein keine Wohnungen mehr kaufen.
Zudem setzen Exportweltmeister China mit seinen Überschussproduktionen die weltweit aufsteigenden Handels- und Zollschranken zu. Der eigene chinesische Markt sei nicht in der Lage, die Überschüsse zu verdauen, konstatieren Ökonomen unisono – wer soll all die Waren konsumieren?
Hohe Jugendarbeitslosigkeit
Und das auch angesichts einer gefährlich hohen Jugendarbeitslosigkeit. Weil die Statistiken zu hoch wurden, änderte Peking die Berechnungsgrundlage und weist die Jugendarbeitslosigkeit nun mit 17 Prozent aus. Schätzungen unabhängiger Ökonomen gehen von bis zu 25 Prozent aus, selbst die besten Uniabschlüsse ändern daran wenig.
So verzweifelt ist die Lage für junge Jobsuchende, dass sich in Peking ein neues Geschäftsfeld auftat: In den neuen, hypermodernen Glastürmen werden jetzt auch Büros für wenige hundert Yuan pro Tag vermietet, in denen man nur eines tun muss: So tun, als ob man arbeite. Telefon, Computer, Schreibtisch – alles ist da, benutzt werden muss es nicht.
*Die Reise nach China erfolgte auf Einladung der chinesischen Zeitung Economic Daily und des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien
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