China: Der abgetauchte Kandidat

Xi Jinping hat sich auf Platz neun positioniert: Der Generalsekretär der KP wird zum mächtigsten Chinesen aufsteigen – spätestens ab 2013, wenn der von Hu Jintao das Amt des Staatschefs übernimmt.
Wenige Wochen vor der Machtübernahme ist Xi Jinping verschwunden. Und in China kocht die Gerüchteküche hoch.

Singapurs Premier Lee Hsien Loong, Dänemarks Regierungschefin Helle Thoring-Schmidt und US-Außenministerin Hillary Clinton haben etwas gemeinsam – sie alle waren in den vergangenen Tagen in Peking und wurden vom künftigen starken Mann versetzt. Xi Jinping ließ Termine platzen. Auch eine russische Delegation und die Zentrale Militärkommission der KP warteten vergeblich auf den 59-Jährigen, der am 1. September letztmals zu sehen war.

Obwohl sich die chinesischen Zensoren alle Mühe geben, Internet-Anfragen nach dem roten Kronprinzen und TV-Berichte über den großen Abwesenden zu unterbinden, zischt und brodelt es in der Gerüchteküche. Autounfall, Herzinfarkt, Mordanschlag, Machtkampf, oder ist Xi wegen angeblicher Finanztransaktionen seiner Familie in Ungnade gefallen – es wird wild drauflosspekuliert. Ano­nyme Informanten wollen wissen, dass sich Xi beim täglichen Schwimmtraining den Rücken verletzt habe. Aber wer kann ihnen trauen?

Verunsicherung

In der hypernervösen Grundstimmung wenige Wochen vor der Machtübergabe sorgt das Verschwinden des designierten Parteichefs, der kommenden März auch das Amt des Staatspräsidenten der weltweit zweitgrößten Wirtschaftsmacht übernehmen soll, für Verunsicherung. Verstärkt wird sie durch die temperamentlosen Ausreden der Regierungsstellen. Geht es um die Gesundheit der Spitzenfunktionäre, mauern sie wie der Kreml zu Sowjetzeiten und setzen lieber auf Ablenkung wie den Streit mit Japan um ein paar Felseninseln.

Der Parteikongress, auf dem der nur alle zehn Jahre stattfindende Generationenwechsel vollzogen wird, soll irgendwann im Oktober abgehalten werden. Da noch nicht einmal das Datum feststeht, wird vermutet, dass die Verteilungskämpfe um die heiß begehrten Sitze im Ständigen Ausschuss des Politbüros noch nicht abgeschlossen sind. Selbst eine Reduktion der Mitglieder des eigentlichen Machtzentrums von neun auf sieben gilt als möglich.

Wie schnell der Stern selbst hoch gehandelter Kandidaten verglühen kann, zeigte der Fall des einstigen Hoffnungsträgers der Parteilinken Bo Xilai. Er wurde im April überfallsartig aller Ämter enthoben, seine Frau Gu Kailai wegen der Ermordung eines britischen Geschäftsmanns zum Tod mit Vollstreckungsaufschub verurteilt. Vor wenigen Wochen wurde Ling Jihua, ein Vertrauter von Noch-Präsident Hu Jintao, degradiert. Er hatte versucht, den Unfalltod seines Sohnes in einem Ferrari zu vertuschen.

Peking demonstriert Stärke

Die japanische Regierung habe "die Gefühle von 1,3 Milliarden Chinesen verletzt", ließ das Außenministerium in Peking ausrichten. Grund: Tokio hat beschlossen, drei von fünf Inseln e­ines unbewohnten Archipels im Ostchinesischen Meer zu kaufen, das ohnehin zum japanischen Staatsgebiet gehört. Die drei Inseln waren bis dato in Privatbesitz. Ministerpräsident Yoshihiko Noda macht jetzt 2,05 Milliarden Yen (20,5 Mio. €) aus dem Staatshaushalt locker, um sie zu kaufen.

Sein chinesischer Amtskollege Wen Jiabao ist erzürnt. China werde niemals einen Fußbreit Boden aufgeben, sagte er und entsandte zwei Patrouillenschiffe zur Inselgruppe, die von China Diaoyu und von Japan Senkaku genannt wird. Das Archipel ist von strategischer Bedeutung, aber auch von wirtschaftlicher. Neben großen Fischvorkommen vermutet man in der Umgebung Öl und Gas.

Neben Japan, das seinen Anspruch auf das Jahr 1885 zurückführt, und China, das bereits im 14. Jahrhundert rechtmäßig dort gewesen sein will, erhebt auch Taiwan Gebietsansprüche.

Der Japaner Noda hatte zuvor noch beschwichtigt. Er kaufe die Inseln nur, um "die Region friedlich und stabil" zu halten. Noda steht unter dem Druck des nationalistischen Tokioter Gouverneurs Shintaro Ishihara. Der Stadt Tokio gehört bereits eine der fünf Inseln, Ishihara wollte weitere kaufen und dort einen Militärstützpunkt errichten.

"Ernste Konsequenzen"

Doch Chinas Regierung glaubt Noda nicht. Sie bezeichnet den Kauf als "illegal", "ungültig" und "einseitigen Schritt". Und sie drohte mit ernsten Konsequenzen – vorerst in Form von Marineschiffen.

Auch wenn es nach einem Zuspitzen der Lage aussieht. Noda bleibt dabei: Er wollte die Situation entschärfen. Das hat auch wirtschaftliche Gründe. Die japanische A­utoindustrie leidet bereits enorm unter dem Streit. Wie der chinesische Automobil-Branchenverband berichtet, ist der Absatz japanischer Autos in China im August deutlich gesunken.

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