Cem Özdemir: "Es geht um einen Kulturkampf"

„Rechtspopulisten sind doch keine Patrioten“, sagt Cem Özdemir
Der deutsche Grünen-Chef und mögliche Außenminister spricht mit Ulrike Lunacek über Fehler in der Asylpolitik, Versäumnisse der CDU, Kurz und die FPÖ.

KURIER: Sie sind in Wien, um Ulrike Lunacek zu unterstützen. Müssten Sie nicht bei Peter Pilz sein, liegt er als Türkei-Kritiker nicht mehr auf Ihrer Linie?

Cem Özdemir: Ganz im Gegenteil. Ulrike und ich kennen uns schon lange, uns verbindet viel über das Europaparlament, in dem ich ja auch fünf Jahre lang saß. Auch die Kampagnen ähneln sich, ebenso wie die Fragen zu den schlechten Umfragen – selbst am Wahlsonntag sah man uns noch bei vier Prozent, am Ende hatten wir 8,9 Prozent. Was wir von Österreich lernen können, ist mit der Verrohung der Umgangsformen durch Parteien wie die FPÖ umzugehen: Ulrike lässt sich davon nicht anstecken, das ist wohltuend. Am Ende des Tages geht es ja darum, Politik attraktiv zu machen – das geht nicht, wenn Politiker wie Hyänen übereinander herfallen.

Was man aber auch lernen könnte, ist dass die Strategie der Grünen – immer nur mit dem Finger auf die FPÖ zu zeigen – nicht aufgegangen ist. Wäre nicht ein Strategiewechsel angebracht?

Özdemir: Die FPÖ hat mittlerweile viel Kreide gefressen, sie hat gelernt, dass es besser ist, einen Bogen um Antisemitismus und andere anrüchige Dinge zu machen. Bei uns radikalisiert sich die AfD hingegen permanent. Es kommen das erste Mal Leute in den Bundestag, die im völkischen, rechtsradikalen Milieu unterwegs sind. Die Lehre aus Österreich ist: Man kriegt die nicht klein, indem man sie kopiert. Das hat nirgends funktioniert. Umso wichtiger ist es, Haltung zu zeigen. Rechtspopulisten reden unsere Länder permanent schlecht, sie tun so, als ob Mord und Totschlag herrschen. Und überhaupt: Was ist das für ein Patriotismus, wenn die Loyalität zu Wladimir Putin größer ist als zum eigenen Land? Rechtspopulisten sind doch keine Patrioten. Das ist bei der AfD nicht anders als bei der FPÖ.

Cem Özdemir: "Es geht um einen Kulturkampf"
CEM ÖZDEMIR & Ulrike Lunacek Interview Evelyn Peternel 13.10.2017 im Hotel Magdas
Ulrike Lunacek: Wolfgang Schüssel hat versucht, die Rechtspopulisten klein zu halten, hat aber das genaue Gegenteil bewirkt: Die Politik von Schwarz-Blau hat nur den Reichen genutzt, nicht Armut abgeschafft. Das nützt nun wieder der FPÖ, die sagen kann, es werde für den kleinen Mann nichts getan – sie ist wieder fast so stark wie 1999. Die Rechtspopulisten zu kopieren, wie es die ÖVP macht und womit die SPÖ begonnen hat, macht nur die Rechtspopulisten größer.

Ist Kurz eine Kopie von Strache?

Özdemir: Wenn ich das bejahen würde, müsste ich das auch über die ganze ÖVP auch sagen, und das wäre nicht angemessen und würde die FPÖ verharmlosen. Aber Kurz segelt schon hart am Wind. Bei uns gibt es eigentlich auch die Vereinbarung, nicht mit der AfD zu koalieren, aber im einen oder anderen Bundesland gibt es schon gemeinsame Abstimmungen von CDU und AfD.

Lunacek: Gerade im europäischen Kontext sieht man es kritisch, wie Kurz sich von Orban loben lässt und sich den Visegrád-Staaten annähert. Viele CDUler sind darüber sehr erstaunt.

Sie könnten ja selbst Außenminister werden. Würde Sie ein Außenminister Hofer schrecken, Herr Özdemir?

Özdemir: Er würde erstmal Österreich schrecken. Und das wäre sicher keine gute Nachricht für Europa. Denn acht Millionen Österreicher sind sicher sehr bedeutend, 80 Millionen Deutsche auch, aber im Vergleich zu 1,3 Milliarden Chinesen machen wir keinen Unterschied. Wenn sich die halbe Milliarde Menschen in der EU nicht zusammentut, werden andere die Bedingungen auf der Welt diktieren. Wer ein schwaches Österreich will, muss also FPÖ wählen.

Müssen die Grünen aber nicht auch bei Migration, politischem Islam, Türkei klarer sein, um mit FPÖ und AfD mitzuhalten?

Özdemir: Es geht schon auch um einen Kulturkampf. Es wird ein Mythos geschaffen um die vermeintlich gute alte Zeit, wo der Mann der Alleinernährer war, die Frau am Herd stand, es angeblich keine Einwanderung gab. Im Zentrum steht Wladimir Putin als Bewahrer der alten Werte, und unter diesem Dach sammelt sich atemberaubende Koalitionen von links bis rechts.

Sie meinen von Sahra Wagenknecht bis HC Strache?

Özdemir: Genau. Wir Grüne zeigen da klare Haltung – in Österreich wie in Deutschland. Wir waren immer die Vorkämpfer für Frauenrechte, für eine offene Gesellschaft. Wir sind da manchmal mit den Kirchen aneinander geraten, denen wir gleichzeitig in vielen Fragen verbunden sind. Wenn jetzt ein konservativer Islam unsere Werte infrage stellt, halten wir hart dagegen.

Waren die Grünen in diesen Fragen zu blauäugig?

Lunacek: Wir haben das immer kritisiert. Frauensprecherin Berivan Aslan hat dafür Todesdrohungen bekommen, weil sie gegen den politischen Islam auftritt.

Özdemir: Für uns geht es um Humanität und Ordnung. Wir fordern verbindliche Sprachkurse für alle. Entscheidend für Integration ist aber auch, dass die Leute arbeiten können. Wenn Menschen aus Ländern kommen, wo es keine Demokratie gibt, wo ein vormodernes Verständnis von Sexualität herrscht, muss man sie vorbereiten auf ein Leben hier. Das ist ein Punkt, bei dem wir dazugelernt haben. Aber man darf nicht vergessen: Wenn wir 2015, als die knapp eine Million Flüchtlinge kamen, so viel Chaos produziert hätten wie die Regierung, hätte man uns hochkant rausgeworfen. CDU und CSU haben etwa den Fall Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, zu verantworten.

Sie beginnen jetzt Gespräche mit Angela Merkel. Sollte Ulrike Lunacek auch mit Sebastian Kurz sondieren?

Özdemir: Erstmal müssen jetzt die Wähler sprechen, dann muss man das Beste draus machen.

Sind Sie auch mit Peter Pilz in Kontakt? Oder halten Sie ihn für einen Verräter?

Özdemir: Ich denke nicht in Kategorien von Verrat. Wir sind ja nicht im Western. Der Peter hat sicherlich seine Verdienste, aber als großen Ökologen habe ich ihn nicht wahrgenommen. Wenn es eine Leerstelle in der Politik gibt, dann in der Klimapolitik. Das hat gravierende Auswirkungen und kann neue Fluchtursachen bedeuten. Wenn der Klimawandel weitergeht, ist das, was wir jetzt mit den Flüchtlingen erleben, ein laues Lüftchen.

Der türkische Schwabe

Vorkämpfer: Cem Özdemir, 51, war einer der ersten Abgeordneten mit türkischen Eltern: Seit 1994 sitzt der Schwabe und gelernte Erzieher für die Grünen im Bundestag. Er schrieb ein Buch über seine Herkunft als "anatolischer Schwabe". Seit 2008 ist er Parteichef.

Überraschungssieger: Trotz schlechter Umfragen holte er bei der Bundestagswahl 8,9 Prozent. Ab kommender Woche spricht er mit Union und FDP über eine Koalition – er wird als möglicher Außenminister gehandelt.

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