Brexit – Der Fahrplan zum Austritt

Brexit oder Bremain?
In den kommenden Wochen und Monaten stehen die Austrittsverhandlungen an. Ein schneller Abschluss ist wohl nicht zu erwarten.

Viele Dinge sind zu klären, die sowohl britische als auch europäische Interessen betreffen. Die Austrittsklausel des Artikels 50 in den EU-Verträgen räumt zwei Jahre Zeit für die Scheidungsgespräche ein.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht von mit einem raschen Beginn der Austrittsverhandlungen mit Großbritannien. "Wir haben uns auf einen Brexit vorbereitet", sagte Schulz Freitagfrüh im ZDF. Er rechne allerdings nicht damit, dass es nun zu einer Kettenreaktion komme. Mit "Klarheit und Ruhe", ohne jede Hektik oder voreilige Schritte wolle man mit den Mitgliedsstaaten den Austritt der Briten abwickeln. Klar sei bis jetzt lediglich das technische und juristische Vorgehen. Was unklar ist: Die Rechte und Pflichten Großbritanniens, Förderprogramme, Regelungen, Marktzugang, laufende Zahlungen. Das Land würde nach den Abwicklungen wie ein Drittland behandelt – wie etwa die Schweiz. Da Großbritannien aber das erste Land ist, das aus der EU austritt, gibt es diesbezüglich auch keine Erfahrungen, auf die man zurückgreifen könnte. Aber: "Out ist out", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Cameron tritt ab

Cameron hat seinen Rücktritt am Freitag angekündigt. Sein Land habe für den Ausstieg gestimmt und brauche nun eine frische Kraft an der Spitze. Da Cameron aber bis zur Wahl eines Nachfolgers durch die Tory-Partei im Amt bleibt, erklärt er die nächsten Schritte. Seine Regierung sei zwar juristisch nicht an das Votum gebunden, kann es aber keinesfalls ignorieren. Daher wird Cameron Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon in Kraft setzen, der den Austritt eines Landes regelt. Danach bleibe in einer Übergangsfrist von zwei Jahren alles, wie es ist.

Es gibt viel zu beraten

Die Europäische Kommission wird noch am Wochenende zu einer Sondersitzung zusammentreffen. Sonntag gilt als ein wahrscheinlicher Tag. Es gibt viel zu beraten: Welche Projekte möchte die EU künftig verfolgen? Wie sollen die Scheidungsverhandlungen mit den Briten geführt werden? Bislang geht man in der EU-Kommission davon aus, dass die Verhandlungen von der Kommission geführt werden. Als wahrscheinlichster Unterhändler gilt der Erste Vizepräsident, der Niederländer Frans Timmermans.

Sonntag, 26. Juni: "Raum B"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird nach Angaben von EU-Vertretern am Sonntag ein Sondertreffen der Kommissionsspitze einberufen. Ein reguläres Treffen des Kollegiums ist für Montag geplant. Die EU-Behörde ist dafür zuständig, die Formalitäten der Scheidung zwischen London und Brüssel zu regeln. Einen "Plan B" für diesen Fall soll es angeblich nicht geben. Ähnliche Versicherungen waren indes auch im vergangenen Sommer in der Debatte über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone ("Grexit") zu hören, bis mehrere Euro-Finanzminister schließlich selbst von einem "Plan B" sprachen, als die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern standen.

Doch statt eines schriftlichen Notfallplans, der den Weg in die Medien finden könnte, werde es beim Brexit eher einen "Raum B" geben, sagt ein EU-Vertreter. Dort sollten Experten und Juristen Maßnahmen festzurren, die am Montagmorgen präsentiert werden könnten. Denn spätestens nach dem letzten Juni-Wochenende dürften Finanzmärkte und Bürger fragen, wie es mit der EU ohne Großbritannien weitergehen soll.

Dienstag, 28. Juni: Ein Dinner in Brüssel

EU-Gipfel in Brüssel: Auch wenn Camerons politische Karriere nun vorbei sein sollte, dürfte er am traditionellen Abendessen zum Auftakt des Gipfels der 28 Staats- und Regierungschefs noch teilnehmen, da vermutlich noch kein Nachfolger für ihn ernannt ist. Cameron könnte dort zudem EU-Ratspräsident Donald Tusk offiziell darüber informieren, dass sein Land nach Artikel 50 der EU-Verträge aus der Union austritt.

Noch ist umstritten, ob Cameron diesen Schritt bereits an jenem Abend geht oder ob die Regierung in London auf Zeit spielt. Auf der anderen Seite des Tisches wird es wahrscheinlich Staats- und Regierungschefs geben, die einen sofortigen, klaren Schnitt wollen, um den Eindruck langer Verhandlungen und Sonderregelungen für die Briten sofort zu unterbinden. Sollte Cameron das Referendum gewinnen, wird er voraussichtlich auf die rasche Umsetzung jener Zusagen pochen, die er beim EU-Sondergipfel im Februar für sein Land herausgeschlagen hat.

Mittwoch, 29. Juli: Ein Stuhl weniger

Der zweite Tag des EU-Gipfels wird wohl ohne Cameron stattfinden. Die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs dürften dann darüber debattieren, wie sie die Union zusammenhalten wollen und die Löcher im EU-Haushalt stopfen, die ein Abschied des Nettozahlers Großbritannien reißen würde. Deutschland und Frankreich könnten zugleich Ideen für eine stärkere EU-Integration vorbringen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen oder eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik aufzubauen. Angesichts der Wahlen 2017 in beiden Ländern sind weitreichende Maßnahmen indes unwahrscheinlich.

Andere abschrecken

Die EU-Regeln für das Königreich bleiben also noch zwei Jahre lang in Kraft. EU-Kommissar Jonathan Hill ist - theoretisch jedenfalls - noch weiter für die Finanzmärkte zuständig, die britischen Abgeordneten bleiben noch im EU-Parlament, Minister aus London an Sitzungen im EU-Rat teilnehmen. Viel zu sagen aber hätte wohl keiner von ihnen. Auch sonst könnte die Trennung bald im Schweigen enden. Generell herrscht in Brüssel bei vielen Verantwortlichen die Einstellung vor, den EU-Abschied für die Briten so schmerzhaft wie möglich zu machen, um Nachahmer in anderen EU-Ländern abzuschrecken. Die von britischen Brexit-Befürwortern erwarteten Handelserleichterungen soll es jedenfalls nicht auf dem Silbertablett geben.

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