Rund 100 Unterstützer haben sich im kleinen, schmucklosen Raum des Hotels an der Copacabana versammelt. Die Klimaanlage läuft, die Fenster sind trotzdem offen: Corona. Der prominenteste Gast ist Rio de Janeiros Bürgermeister Marcelo Crivella. Ein ehemaliger evangelikaler Bischof und der Verbündete des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro in der Stadt, die als eine der wichtigsten Machtfundamente von Bolsonaro gilt.
Doch die Umfragen für die (landesweiten) Kommunalwahlen am Sonntag sind schlecht, Crivella liegt weit hinter Eduardo Paes zurück. Der gilt als Mann der Mitte. Crivella hat keine große Erfolgsbilanz vorzuweisen, also schimpft er über die Medien.
„Globo ist Müll“, ruft er unter dem Jubel der handverlesenen Anhänger und meint damit den größten brasilianischen Medienkonzern Globo. Crivellas Kampagne zündet nicht richtig. Zudem ist die Angst im rechtskonservativen Lager groß, dass dem Bolsonaro-Lager das droht, was Donald Trump in den USA widerfahren ist: Eine Niederlage. Unsicherheit macht sich breit.
Eine, die gekommen ist, um Crivella und damit auch Bolsonaro zu unterstützen ist Vanessa Silva. Sie wird als eine der wenigen Afro-Brasilianerinnen, die zur Veranstaltung gekommen ist, schnell zur meist fotografierten Frau des Abends. Jeder möchte ein Bild mit ihr posten, offenbar als Beleg, dass die brasilianische Rechte eben nicht rassistisch sei, wie ihr immer wieder vorgeworfen wird.
„Kritik ist ungerecht“
„Die Kritik an Bolsonaro ist ungerecht“, sagt Silva, die als Telefonistin im ärmeren Vorort Nova Iguacu arbeitet. „Für mich ist Bolsonaro der beste Präsident, den Brasilien je hatte.“ Silva glaubt, dass Bolsonaro den Willen der Mehrheit des brasilianischen Volkes widerspiegelt. „Bolsonaro verteidigt die Familien, die Heranwachsenden. Er ist gegen die Gender-Ideologie und die Erotisierung der Jugendlichen. Damit deckt er 90 Prozent der Meinungen der Brasilianer ab. Das brasilianische Volk ist konservativ“, sagt Silva. Es sei ähnlich wie in den USA, wo die „Black-Lives-Matter-Bewegung“ so stark geworden sei. „Doch eigentlich wird der Schwarze doch nur benutzt, um das System zum Einsturz zu bringen.“
Die Wahl am Sonntag ist deshalb auch ein wichtiger Fingerzeig für die zweite Hälfte der Amtszeit von Jair Bolsonaro. Der Rechtspopulist regiert das Land seit Jänner 2019. Inzwischen ist die Corona-Pandemie, die das Land hart getroffen hat, abgeklungen. Bolsonaro, ohnehin ein Verfechter eines lockeren Umgangs mit dem Virus, forderte in dieser Woche, Brasilien müsse aufhören, „ein Land der Schwuchtel“ zu sein. Anders ausgedrückt, die Leute sollten sich nicht so anstellen und wieder zur Normalität zurückkehren. Trotz der mehr als 164.000 Covid-Toten im Land.
Seine Anhänger feiern ihn für die vergleichsweise guten Wirtschaftsdaten. Die brasilianische Agrar-Industrie, wichtigster Pfeiler der Ökonomie, fährt Export-Rekorde ein. Deswegen ist der Absturz des Landes auch nicht so groß wie in anderen lateinamerikanischen Ländern. Dass dies durch die Abholzung und Brandrodung der Wälder auf Kosten der Umwelt geschieht, ist eher im Ausland ein Thema.
Biden nicht gratuliert
In Brasilien ist es den meisten Menschen wichtiger, dass sie die Corona-Hilfsgelder ausbezahlt bekommen, die sie in der Krise vor dem Absturz in die extreme Armut bewahren. Die Frage ist, ob das reicht, die anstehenden Wahlen zu gewinnen.
Für Bolsonaro ergeben sich aus der Wahlniederlage Trumps gravierende Veränderungen. Im Ausland steht der Präsident ohne seinen engsten politischen Verbündeten zunehmend isoliert da. Neben Mexiko ist Brasilien das einzige große lateinamerikanische Land, das Biden noch nicht gratuliert hat.
Zudem steht seine umstrittene Amazons-Politik mehr und mehr am Pranger. Im Gegensatz zu Trump will Biden aktiv mit Milliarden-Investitionen für den Erhalt des Regenwaldes kämpfen.
Auch innenpolitisch tut sich eine Alternative auf. Der bei Konservativen äußerst populäre Ex-Justizminister Sergio Moro und der beliebte TV-Showmaster Luciano Huck erwägen offenbar, bei den Präsidentschaftswahlen 2022 anzutreten.
Intern wird von einem „Dritten Weg“ gesprochen, der die politische Mitte umwirbt. Jene, die sich nicht vom rechtspopulistischen Kurs Bolsonaros, aber auch nicht von der linken Opposition vertreten fühlen. Auch sie warten gespannt auf den Stimmungstest am Sonntag.
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