Brasilien – ein Lebensgefühl
Teil 6: Ein Mega-Land zwischen Euphorie und Protest, Armut und Reichtum, ausgelassenen Feiern und beinharter Arbeit. Vier Österreicher zeigen sich beeindruckt.
Die Busfahrt selbst – eine Achterbahnfahrt: "Wer sich in der Kurve nicht mit beiden Händen festhalten kann, auf den wirkt das Trägheitsgesetz. Busfahrer lieben es, sich mit ihren Kollegen ein Rennen zu liefern. Kilometerlange Überholmanöver sind keine Seltenheit."
Schmidt kam vor 14 Jahren nach Brasilien, um hier seinen Zivildienst abzuleisten. "Seither lassen mich das Land, seine Kultur und die Leute nicht mehr los." Nach mehreren Urlauben ist er seit Jänner 2014 wieder für länger hier: als Post-Doc an der staatlichen Universität.
Der Informatiker kennt inzwischen den feinen Unterschied. Rio mit den Augen des Touristen: Das ist viel Fröhlichkeit, viel buntes Treiben im öffentlichen Raum. Rio aus der Sicht der Bewohner: Das kann mitunter mühsam werden.
Depressionen? Nein! Trotz der ökonomischen Zwänge wären die Menschen in Brasilien besser gelaunt als ihre Landsleute in Österreich: "Vielleicht mit Ausnahme der Kassiererinnen im Supermarkt und der Ober im Kaffeehaus. Das Klischee, dass viel gefeiert wird, ist auch nicht ganz falsch."
Ihre Recherchen haben die Reporterin auch in die von der Polizei pazifizierten Favelas geführt. Ihr Eindruck: "Dort leben viele Menschen der unteren Mittelschicht. In gemauerten Häusern. Einige besitzen sogar ein Auto und eine Waschmaschine." Viele fürchten sich vor weiteren staatlichen Eingriffen. "Weil dann horrend hohe Stromkosten zu bezahlen wären."
Angetan zeigt sich Ebner von der Bolsa Familia. Das ist Familienbeihilfe auf brasilianisch. Damit konnte in den vergangenen zehn Jahren das Überleben von rund 40 Millionen Menschen gesichert werden. Der staatliche Mini-Zuschuss ist an Auflagen geknüpft: Wer seine Kinder nicht in die Schule und nicht zur Gesundenuntersuchung schickt, verliert sofort den Anspruch darauf.
Motivation zu lernen für alle: "Die Besten der Besten können bei uns den Sprung in das Profigeschäft schaffen. Wir unterstützen sie auf diesem schwierigen Weg."
Anhaltend fasziniert den Österreicher die enorme Zielstrebigkeit und Willenskraft der jungen Brasilianer: "Die Motivation ist hoch, weil es viele Konkurrenten gibt. Viele wollen aufsteigen." Schruf erzählt von jungen Profifußballern, die nebenbei studieren und gleichzeitig noch einen zweiten Beruf ausüben.
Fast unerschöpflich das Talente-Reservoir: "Das ist, wie wenn du in Österreich gute Skifahrer suchst. An jeder Ecke ein Rohdiamant." Mit dem Unterschied, dass Fußball eine echte Weltsportart ist.
Trotz seines Ergriffenseins für den brasilianischen Fußball verschließt Schruf nicht die Augen vor der sozialen Ungerechtigkeit im Land: "Die Einkommensverteilung ist absolut ungerechnet. In den Städten leben die Super-Reichen neben den Super-Armen." Grundrecht auf Bildung, wie es in Europa Standard ist, kennt man hier nicht. So sieht man auf der einen Seite eine hoch motivierte, gut ausgebildete junge Elite, die nach oben strebt. Und daneben das Heer der Armen und Bildungsfernen, das keinerlei Aufstiegschancen besitzt.
So vielfältig die Natur, so vielfältig auch die Menschen und Kulturen. Zwischen dem Nordosten, wo das Leben noch deutlich langsamer abläuft, und dem Südwesten des Landes, wo es in den Städten alles gibt, was es auch in Europa gibt, liegen nicht nur 4000 Kilometer, sondern tun sich auch Welten in den Mentalitäten der Menschen auf.
Wer es sich leisten kann, fliegt, bevor ein Kind zur Welt kommt, kurz mal rauf in die USA: "Dort wird alles Notwendige für das Kind eingekauft. Und wenn man dann noch drei Tage Urlaub dranhängt, kommt das noch immer billiger als wenn man die Sachen in Brasilien kauft."
Keine Saga sei die brasilianische Gastfreundschaft. Die Sprachlehrerin erzählt von einer Schülerin, die sie "einfach so" in ihr Haus am Meer eingeladen hat. Auch die Stimmung der Leute sei meist gut: "Das liegt wohl auch am Wetter. Wiener Wetter haben wir hier maximal zwei Tage pro Jahr. Wenn es einmal regnet, kommt nach kurzer Zeit wieder die Sonne hervor."
Am Abend ist dann der Informatiker Johannes Schmidt auf dem Nachhauseweg. Zurück von der Uni zur Metro ist es nun einen Kinderspiel.
"Da gibt es einen Kleinbus mit garantiertem Sitzplatz und sehr freundlichem Cobrador. Das ist der Mann, der an der Haltestelle die Leute zusammensammelt, damit der Bus so schnell wie möglich voll wird. Der kennt mich schon, begrüßt mich mit Handschlag und wünscht uns allen beim Wegfahren einen guten Abend und einen guten Schlaf. Wer aussteigen will, ruft einfach quer durch den Bus zum Fahrer nach vorne, und bezahlt dann beim Aussteigen."
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